Büschemer Geschichtchen  - G'schichdli II

 

 

 

Die Bundeswehr

 

Die Bundeswehr machte Büscheme zu einem Garnisionsort. Was es bisher noch nie war. Besetzte große Teile des Büchelberges. Zerstörte historische Nutzungen. Und Wege. Den Galgen. Das Galgenfeld. Die Cent. Die an landschaftlich herausragender Position angelegte Friedrichshöhe musste ihren Höhenstandort räumen. Von dem aus man sehr viele Orte im Tal und auf der Höhe sehen konnte. Wir machten als kleine Kinder noch ziemlich viele Tagesausflüge dorthin. Auch im Gefolge der Eltern. Verloren zudem kleinere Grundstückchen an die überbauungswillige Bundeswehr. Verloren den Weg nach Grünsfeld. Das alles ging nicht ohne Proteste ab. Teilte Büscheme in Gewinner und Verlierer. Die Geschäftsleute, die auf Aufträge von der Bundeswehr, beim Bau der Kaserne, bei deren späteren Betrieb hofften, Bauern und Ziegenbauern, die ihre Grundstücke per Enteignung hergeben mussten.

 

Die Bundeswehr machte sich in Büscheme deutlich bemerkbar. Nicht nur auf dem Büchelberg. Auch auf dem Brenner. Wo extra Wohnhäuser für Soldatenfamilien erstellt wurden. Das Schwimmbad wurde morgens von Soldaten in kurzen Hosen und beadlerten Shirts eingenommen. Soldaten, die in Mannschaftsstärke durch die Stadt von oder zur Kaserne eilen waren täglicher Anblick. Oder auch wenn sie meist sehr vereinzelt von einer längeren Geländeübung durch die Kachelstraße hoch zur Kaserne schlichen. Die sportlichen voraus. Die unsportlichen weit abgeschlagen, weit hinten. Körperlich erledigt. Und schleppten Tonnen an Gepäck mit sich.

 

Die Bundeswehr schlich sich mit ihrem Offizierskorps in das gesellschaftliche Leben der Kleinstadt ein. Unteroffiziersbälle in der Festhalle. Standen früher Bürgermeister und Pfarrer bei irgendeinem kleinstädtischen Ereignis wie einer Einweihung in vorderster Front. Gesellte sich nun der Standortälteste dazu. Immer in Uniform. Das Kriegerdenkmal war magischer Anziehungsort für Soldaten, die sich in gerichteter Uniform dort stundenlang aufzustellen hatten. Ebenso das 1866 Monument. Das dem soldatischen Geist völlig entsprechen zu schien. Mit Tagen der offenen Tür versuchte man die Kleinstädter einzufangen. Was auch ziemlich gelang. An diesen Tagen herrschte Belagerungszustand von innen. Fast die gesamte Bevölkerung war in der Kurmainz-Kaserne anwesend. Ebenso wir als Kinder. Glücklich war man, wenn man Patronen erbeuten konnte. Oder eine Büchse Schwarzbrot. Oder ein Teller Erbsensuppe. Die Zeiten waren halt recht einfach. Und so der Zeitgeist.

 

Die Bundeswehr zeigte erst ein hässliches Gesicht, wenn solche Tage der offenen Tür von Demonstranten gestört wurden. Als ein Büschemer vor der Kaserne Flugblätter verteilte, wurde der glatt einen Tag in der Kaserne eingebuchtet. So sah damals die Vorwärtsverteidigung der Bundeswehr aus. 1968 hatte ebenfalls ein Büschemer Flugblätter vor der Kaserne verteilt. Und wurde in einem Zeitungsartikel als wie einst Lili Marleen vor den Toren stehend verhöhnt. Eine inhaltliche Bewertung der Intentionen, des Flugblattes fand dagegen nicht statt. Die Lokalpresse bettete sich freiwillig in die Bundeswehr ein.

 

Als Kinder fanden wir es noch interessant, wenn die Panzer von der Kaserne aus durch die Stadt fuhren und am Bahnhof verladen wurden. Verkehrschaos pur. Da die Verladung in den Morgenstunden begann, begann auch wegen des Lärms bürgerlicher Protest. Dazu trug auch bei, dass die Külsheimer Panzer ebenfalls in gleicher Weise frühmorgens verladen wurden. Auch der Truppenübungsplatz war an manchen Tagen geöffnet für die Bevölkerung. Gern marschierte man dann über das Gelände und schwor sich innerlich die Rückeroberung der halbtrockenrasigen Flächen. An den Grenzen des Truppenübungsplatzes drohte immer ein Schild mit dem Standortältesten vor dem Einmarschieren. Das reizte natürlich zum Einmarsch. Nicht nur an Samstagen, Sonntagen, an denen die Bundeswehr sowieso im Wochenendheimkehrermodus sich möglichst wenig bewegte. Die Bundeswehr schickte ab und zu eine Streife um ihr Gelände. Aber zu selten, dass man von der beim Einmarsch erwischt werden konnte. Als man wieder einmal übers Gelände schlich, drückte schon etwas die Blase. Man nahm am Waldrand Aufstellung, um aus geschützter Position die Blase zu entleeren. Da hörte man direkt vor einem den Ruf: „Nein. Nicht!“. Da lag doch glatt ein Soldat mit verschmierten Gesicht und laubartig an allen Stellen getarnt im Waldsaum. Übungshalber. Später joggte man auch gern immer wieder über das Gelände. Pech hatte man, wenn gerade ein Kettenpanzer an einem vorbei fuhr und einen zustaubte.

 

 

 

 

Ami – Kaugummi

 

Im Kindesalter fraternisierten wir gern mit unseren amerikanischen Verbündeten. Uns war schon allein mit Zahl, mit der Form der Panzer und Lastwagen imponierbar. Das schien absolut modern. Überlegen dem Feind. Dem roten. Wir riefen bei jeder Kolonne „Ami Kaugummi“. Manchmal bekam man auch einen geschenkt. Die Amis wussten, dass sie auch die Geschmacksnerven der Deutschen treffen mussten. Das gelang ziemlich lang. Wenn die Amerikaner in Hardheim Tag der offenen Tür hatten, fuhr man dorthin. Zu sechst in den Familienkäfer eingezwängt. Man war noch Kind und einengbar. Schaute sich dort die Raketen an. War beeindruckt. Im Fernsehen wurden ja bei Berichten über Vietnam meistens Erfolge der US-Soldaten gezeigt. Und Ihre siegreichen Vormärsche. Panzerbeschüsse, Bombenhagel. Gegen den Feind aus dem Dschungel. Schaute man sich Vietnam auf dem Diercke Atlas an, sah man, wie schmal das Land war. Und wunderte sich bei der gezeigten Propaganda, warum die US-Amerikaner denn nie ans Ziel kamen. Amerikanische Serien wurden im Kindesalter massenhaft konsumiert. Obwohl es da ja auch noch viele Sendungen, Serien aus Großbritannien, Frankreich gab. Emma Peel war ja eine Art modernste Frau, die die Amis nicht filmisch liefern konnten. So geriet der Mythos Amerika in einem früh ins Wanken. Trotz Ami – Kaugummi.

 

 

 

 

 

 

 

Warttürme

 

Als Kind bekam man zu hören, dass auf einigen Büschemer Bergen früher Türme standen. Oder gar Burgen. So vom Wolfsturm. Von dem man sehr subjektive Vorstellungen hatte. Groß. Mächtig. Fett wie das Holstentor. Wie es einem im Traum ähnlich erschien. Obwohl dieses ja ein Tor mit Türmen ist. Und kein Wartturm. Der nicht in die Breite, sondern in die Höhe gehen muss. Es gibt ja leider auch kein brauchbares Bild von diesem Turm. Nur ein paar bescheidene Striche auf einer Geleitkarte. Leider gab der Ort selbst, die kümmerlichen Reste des Ringfundamentes, nicht viel her. Da musste man schon die Büschemer Landschaft mit eigener Phantasie auffüllen. Lange erfolglos blieb auch die eigene Suche auf der Schlosserbergsseite des Edelberges nach einem Wartturm oder gar Burg. Bzw. deren Resten. Die Reste des Höhberg-Wartturmes nahm man schon intensiver war. Intensiver als heute wenn man diesen Ort aufsucht. Irgendwie fehlen da gegenüber kindlicher Phantasie die Steinhaufen, die man glaubt, früher gesehen zu haben. Der Bismarkturm, wenn auch kein Wartturm, wurde in der Kindheit gern besucht. Auch wenn man es nie schaffte, an der Außenseite hochzukraxeln. Da fehlte neben dem Können auch der Mut. Bzw. es gab die Unsicherheit, auch wieder unbeschadet herunterzukommen. Umso mehr spielte man in den Hangbereichen um den Turm herum. Raste die Kastanienallee hinauf / hinunter. Wunderte sich allerdings stark, über den wenig laubartigen Charakter der höhenbergschen Bewaldung. Wußte noch nichts von der späten Aufforstung. Die Rückseite gen Dittigheim wurde noch gern bei kindlichen Exkursionen einbezogen. Man wunderte sich als Kind auch sehr, wie nah Dittigheim gemarkungsmäßig an Büscheme heran rückte. Fragte sich, wie das möglich sein konnte. Das große Büscheme. Das kleine Dittigheim.

 

 

 

Katholische Landnahme

 

Sprait und Stammberg waren im Übergang von Kindheim zur Jugend in der Sommerzeit ideale Outdoor-Gelände. Auf der hängigen Wiese neben der Stammbergskapelle wurden für einige Tage die Zelte aufgeschlagen. Man war also nah dran an Büscheme, aber halt auch irgendwie weg. Auf der Höhe. Von dort aus vollzog man Nachtwanderungen oder Geländesuchspiele. Auf dem Sprait war der Standort für das Johannisfeuer. Entweder sprang man drüber. Seltener rein. Oder bruzzelte Würstchen auf einem Stecken. Oder versuchte Kartoffeln essbar zu machen. Den Stammberg schraubte man sich auch in einigen Wallfahrten, Prozessionen hoch. Die katholische Landnahme umfasste die ganze Gemarkung. Die Fluren. Sie fußte ja noch stark im Bäuerlichen. Und in heidnischen Vorläufern. So übten wir diese Landnahme in einer katholisch geprägten Jugendorganisation speziell für jüngste Gymnasiasten erneut aus. Gerade als in der schulischen Einprägung versucht wurde, von dieser Landschaft zu abstrahieren. Mit uns tote Sprachen einzuüben. Den heimischen Dialekt zu nichten.

 

 

 

 

Kindergarten

 

Der Kindergarten wartete anfangs noch in der Stadt, am Struwepfad auf einen. In noch sehr altbackener Weise. Der Bauart. Der Aufbewahrung der Kinder. Deren Abrichtung. Wir wurden vom Vater gelegentlich mit dem Motorrad hintransportiert. Auf dem Rücksitz. Einer nach dem anderen. Ohne Helm. Den neuen Kindergarten in der Oststadt ging man zu Fuße an. Lernte die Strahlkraft der Geschäfte kennen. Wie dem Erbacher. Immer zog es einen dorthin. Für Süßigkeiten. Aber nur selten gab es was. Geld hatten wir ja in diesem Alter fast noch nicht. Um dem Hals ein Täschchen. Das von der Mutter aufgefüllt war. Mit selbstgemachtem Essen. Süßes war da kaum dabei.

 

 

 

 

 

 

 

Tauber und Tauberwiesen

 

Von den Wiesen in Richtung Dittigheim hörte man noch Geschichten, dass sich hier früher Büschemer und Dittichheimer Kinder hier getroffen haben, um festzustellen, wer denn nun die Stärksten sind. Man soll noch mit Schleudern aufeinander geschossen haben. In den Bischemer Böse Buwe heißt es dazu: " 'Kriech gführt geeche Dittiche' und dabei einem 'Diddemer Boachscheißer' ein Loch in den Kopf geschmisse." (Seite 13) In unserer Kindheit gab es solche flurgebundenen Gemetzel zwischen Kleinstadt und Dorf nicht mehr. Die Tauber selbst war ja aufgrund ihres Kanalcharakters kaum für das Kinderspiel geeignet. Und auch mitzu starkem Gefälle. Die Wälle an der der Tauberbrücke, die Kastanienallee waren noch Orte für Kinderspiel. Etwas mehr Mut erforderte das teilweise Eindringen in den Doul-Durchgang in Richtung Wachter. Das war eher Jugendlichen überlassen, die dort das Rauchen einübten. Über dem Mühlkanal war an der schmalen Straße Richtung Gymnasium eine breite steinere Brüstung. Auf die man sich gern setzte. Im Suff fiel einmal einer über diese Brüstung in den Mühlkanal hinuter. Das war ein Hallo. Als man runter schaute, sass er in der trüben Brühe und spukte ebenso trübes Wasser aus. Der Brehmbach mündete noch kurz vor der Tauberbrücke ein. Über den Brehmbach wurde der Kanal der Dittigheimer Wiesenbewässerung in eiserner Befestigung geführt. Die war allerdings nicht mehr ganz dicht, so daß Wasser herausplätscherte. Irgendwie verschwand dann der Kanal unter der Erde, unter dem Wörtplatz hindurch und tauchte dann wieder als offener Kanal auf. Es gab hier noch schöne alte Obstwiesen. Der Wörtplatz war ja damals nur durch das alte Schlachthaus eingeschränkt. Weitere Bebauung gab es noch nicht. Auch noch nicht die Straße Richtung Hochhausen. Die Gräben, das umfangreiche System der Tauberwiesenbewässerung war ja noch vollkommen vorhanden. Es gab auch noch einen Übergang über den noch wasserführenden Kanal, der nur aus eisernen Streben bestand, die abgewinkelt beide Seiten verbanden. Das war auch eine kleine Mutprobe darüber zu gehen und nicht abzustürzen. An Aale im meistens stillstehenden Wasser kann man sich noch erinnern. Lief man früher entlang der Tauber in Richtung Impfingen, so bewegte man sich im unbegradigten Wiesenbereich meistens in einer dichten Mückenwolke. Um viele Wiesen führten noch zahlreiche Bewässerungsgräben. Über die man oft springen mußte, um an ein Ziel zu gelangen.

 

 

 

 

 

Büschemer Kulturprovinz
 
Wäre die Kultur ein Schwartenmagen, wäre der Büschemer ein äußerst kultureller Mensch. Nun ist die Kultur halt mal kein Schwartenmagen. Auch nicht in Büscheme. Insofern hatte die Kultur in Büscheme einen schweren Stand. Einen sehr schweren. Zumal die Lehrerschaft des Gymnasiums sich im elitären Stil mehr auf sich selbst bezog.  Als nach Büscheme hinein zu wirken. Man malträtierte schließlich im Gymnasium die Nachkommenschaft der Büschemer, einen Teil davon, zu höheren Weihen. Zu den Mythen römischer und griechischer Götter. Was ja das Höchste überhaupt schien.
 
Historie galt noch etwas. Dazu hatte man einen Geschichtsverein. Der sich modern-altbacken Tauberfränkische Heimatfreunde nannte. Und ein Museum. Im Schloss. Mit Tauberfranken im Namen erhob man sich über die enge Lokalität Büschemes. Wenn auch nicht weit. Über das Tauberbischofsheimer Kapitell ließen sich ja genug Mutmaßungen herstellen und ableiten.
 
Der Büschemer Katholizismus war ja ein starkes Überbauphänomen. Und besetzte mit die höheren Sphären. Die künstlerischen Formen, in denen Kultur sich manifestieren konnte. Bildstöcke. Kreuze. Die Tafeln von Grünewald hatte man ja schon längst aus der Stadt hinausgeschafft. Der Büschemer Katholizismus wirkte ja mit seinen Institutionen weitgehend in die Jugend, in die Erwachsenen hinein. Und dominierte die geistig-kulturelle Büschemer Welt damit.
 
Immerhin hatte man noch Richard Trunk. Als musikalischem Vorzuzeigenden. Wie ein Tafel am Geburtshaus am Marktplatz hinweist. Gelegentlich hieb Professor Auner in der Schlossdiele in die Tasten und gab Werke von Richard Trunk wieder. Die einen bei Teilnahmen durchaus interessant schienen. Die nationalsozialistischen Werke Trunks wurden da nicht gespielt. Darüber hörte und las man sowieso sehr wenig. Beim Buch-Stein konnte man ein Buch von Alfons Ott über Richard Trunk. Leben und Werk erwerben. Buch-Stein hatte ja immer ein großes Lager nicht verkaufbarer Bücher auf Lager. Selbst die Büschemer Stadtchronik von 1955 fand man dort noch fast wie frisch verpackt in den Regalen. Wenn auch mehr beiseite gerutscht. Das Buch basierte auf den autobiographischen Aufzeichnungen Trunks „Richard Trunk über sich selbst“. Die waren wohl an einigen Stellen durchaus sehr geschönt. Wurde in der Zeitung Richard Trunk in einem Artikel erwähnt, las man dort immer wieder die Zuschreibung „kerndeutsch“. Eine sehr verräterische.
 
Um diesen bedeutenden Sohn der Stadt auch in seiner bedeutenden Rolle zu ehren, gründete man in dieser Kleinstadt ein Internationales Kuratorium der Richard-Trunk-Stifung. Von dieser hörte man später wohl nicht mehr viel. Richard Trunk war also in Büscheme weltbekannt. Obwohl man ihn nicht so richtig kannte. Oder einiges halt ausblendete. Die Richard-Trunk-Straße ist ja genau betrachtet auch nur ein sehr kurzes Stück Straße. Wenn auch in die Höhe steigend. Oder fallend. Anders rum betrachtet. Erst viel später beschlossen die Stadtväter eine Musikschule zugründen. Die Richard-Trunk-Schule. Das hob das musikalische Niveau dieser Kleinstadt entscheidend. So zogen auch im eigenen Familienverbund Klaviertöne ein. Friedrich Alfred Schmid Noerr bescheinigte der Bischofsheimer Bürgerschaft allerdings wenig musikalisch zu sein. Mit Ausnahme Richard Trunks. Der hatte um 1899 Gedichte von Schmid Noerr, der damals noch Fredy Schmid hieß, vertont. Als Erstlingswerk.
 
Man war ja über jedes kulturelles Angebot in dieser Kleinstadt dankbar. Das Kino mit Vaters Lichtspiele und Badischem Hof wurde gern besucht. Wenn auch das Angebot eher dünn war. Immerhin lief in Vaters Lichtspiele in den1970er Zulawskis herber Film Nachtblende mit Romy Schneider. Im Badischen Hof Taxidriver. Also nicht nur die üblichen James Bond Filme. Um Romero’s Nacht der lebenden Toten zu sehen, fuhr man allerdings um 1968/69 mit der Bahn nach Lauda und ging ins Stern-Kino. Auch wenn man das nötige Alter noch nicht erreicht hatte. Man wurde glatt durchgewunken. Den Film Let it be zeigte die KJG im vollbesetzten Saal des Winfriedhauses. Wenn auch erst einige Zeit nach Anlaufen des Filmes. Früher war man ja auch einige Zeit in einer katholischen Jugendorganisationen. Und hatte sich dann davon entfernt. Immerhin hatte man als Mitglied einer katholischen Jugendorganisation ebenfalls im Winfriedheim den Film Die Brücke gezeigt. Unter dem Prälat Lang eine durchaus kritische, liberalere Version des Katholizismus kennengelernt. Da war Raum für weiteres. Wenn auch unter dem real-existierenden Katholizismus nicht konkret realisierbaren. Immerhin zählt man auch heute noch unter den damals im Katholizismus kennengelernten Büschemern einige auch heute noch zu den weiterhin Gekannten.  
 
Die Badische Landesbühne bot auf der Bühne der Stadthalle ihr Programm an. Andorra. Der zerbrochene Krug und so. Meistens vor sehr lichten Reihen. Die lichteten sich noch mehr, wenn kein Klassiker gegeben wurde, sondern etwas modernes. Nicht leicht annehmbares. Der Büschemer liebt ja bekanntlich nicht das Abstrakte. Sondern greift eher zum Schwartenmagen. Einmal verpasste sogar das wenige erschienene Publikum das Ende eines solchen eher anspruchsvollen Stückes. Und musste von der Bühne aus aufgeklärt werden, dass das Stück schon längst zu Ende sei. Warten auf Godot fast auf den Büschemerischen Höhepunkt getrieben.
 
Der Kunstverein war die Speerspitze der Büschemer Kultur. Kulturbemühungen. Im Klosterhof hatte man einen Saal, in der Ausstellungen abgehalten wurden. Wenn auch fast immer mit denselben Künstlern. Also vor allem von Hugo Pahl. Von Helene Marcarover. Oder von Künstlern aus der nähesten Region wie Eduard Jericha. Man blieb fast unter sich. Ein nur kleiner Kreis. Stets sah man Oskar Petsch, den Rektor der Hauptschule, dabei. Die Werke Hugo Pahls waren thematisch überwiegend auf Büscheme bezogen. Auf ein Alt-Büscheme. Das zunehmend im Stadtbild verschwand. Erst in den späten 1970ern ging es mit Kunst & Kultur aufwärts. Als ein Aquarell-Künstler sich in Büscheme niederließ. Eine Malschule leitete. Die kunstinteressierte Frauenschaft widmete sich nun dem Aquarell-Malen. In den 1980er Jahren nahmen ja die sozio-kulturellen Aktivitäten und Vereine in den bundesdeutschen Kleinstädten einen großartigen Aufschwung. So auch in Tauberbischofsheim. Provinziell ist dann nur noch der Standort. Oder manchmal die Bedingungen, in denen diese Vereine agieren müssen. Aber nicht mehr die Inhalte. Der Büschemer isst nun auch kaum noch einen Schwartenmagen. Kultur hat ihren Platz in Büscheme gefunden.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ruinen

 

Wenn wir mit den Eltern mit dem VW Käfer nach Würzburg fuhren, konnten wir dort noch Ruinen aus dem 2. Weltkrieg sehen. Das war schon ein besonderer Anblick nur noch die stehende Außenfassade vor sich zu haben. Im Fernsehen setzte man noch Filme der Bombenentladung aus den Bombern heraus auf deutsche Städte wie Würzburg uns vor. Die Phosphorstabbomben fielen. Im Hintergrund brannte es. Die Mutter erzählte von dem mächtigen roten Feuerschein, der von Uissigheim aus, am Himmel an diesem Tag zu sehen war. In Büscheme wurden wir mit selbst hervorgerufenen Ruinen in der Innenstadt konfrontiert. Manche Stadtväter bedauerten wohl, dass es während des Kriegsgeschehens zu keinen Verlusten innerstädtischer Quartiere gekommen waren. Und holten dies flächig nach. Waren schon für Landratsamt und Kirche sehr viele Gebäude zum Opfer gefallen, fielen nun Häuserreihen und Hintergebäude für die Volksbank und Mainkaufhaus. Es gibt ein viel zitiertes Bild von Friedrich Alfred Schmid Noerr das Büscheme als Eibirnrund beschreibt. Diese Birne hat allerdings inzwischen eine kräftige Delle erhalten. Tiefe Einschnitte. In der unteren Frauenstraße ging später eine ähnliche Radikalsanierung per brachialen Abriß vonstatten. Sanierung statt Abriß war unbekannt. Selbstverständlich beobachteten wir als Kinder einige der Abrisse. Waren erschrocken wie schnell das vor sich ging. Aber auch beeindruckt. Von den herumfuhrwerkenden Baggern. Andererseits ergaben sich bei Abrißen der Vorderhäuser auch Einblicke in die städtische Verdichtung der sonst nicht zu sehenden Hintergebäude. Der zahlreichen Anbauten. Des innerstädtischen Kleinkleins in der Architektur. Immer mehr Häuser, Häuschen des einfachen Häckermilieus verschwinden aus dem Stadtbild. Als ob es deren Anblick nicht mehr geben dürfe. Als ob man sich dieser kleinlichen Bauweise schämen würde.

 

 

 

 

 

Schallplatten, Kassettenrecorder, Faschingsbälle

 

 

Schallplatten zogen irgendwann in den 1960er Jahren in unser Haus ein. Der Vater bevorzugte eher günstig zu erwerbende Klangscheiben. Zweit- und drittklassiger Herkunft. Nachgespieltes. Immerhin kamen auf diesen Wege Scheiben wie Freddys Weihnachten auf hoher See, das Geld gehört in die Wirtschaft, ein Faschingslieder nachspielender Stimmungsmacher, Billy Mo mit seinem Tirolerhut und andere Gassenhauer in unser Heim. Von den Schwestern wurden the Kinks mit You really got me, Bob Dylan Like a Rolling Stone, Animals The House of Rising Sun, The Beatles From Me to You, Rolling Stones mit Satisfaction beigesteuert. Alles Singles. Für LP's reichte das Geld nicht. Gern wurden auch Flexischeiben aus der Bravo genommen. Da kostenfreie Beilage. Und zudem Sonderheiten wie Beatles Wünsche und Songsfragmente zu Weihnachten 1965 lieferte. An Weihnachten lief allerdings überwiegend Freddys Weihnachtsscheibe. Die läuft auch heute noch zur Weihnachtszeit. Wenn auch nun eher als MP3. Die Faschingsscheibe erwies sich trotz zweitklassiger Herkunft als erstklassiger Stimmungsmacher an Fastnacht: Das Geld gehört in die Wirtschaft. Wer hat soviel Pinke Pinke - wer hat soviel Geld. Und lief auch noch in Jahren, als die Haare wesentlich länger waren. Fasching war ja auch eine hohe Zeit der Bälle. Vöglerball. TSV-Ball. Die waren ein Muss. Und volle Veranstaltungen. Wie der Gymnasiums-Fastnachtsball. Um die 1970er Zeiten kam der Cassettenrecorder auf. Club 19 oder Volker Rebel von HR sendeten nun die angesagten Songs, Alben, Gruppen aus der Rockzeit, aus dem Prog-Rock. Moderatoren, die in die Songs hineinsprachen, strichen wir von unserer Beliebtheitsliste. Wenn wir schon nicht genügend Geld für LP's hatten, wollten wir wenigstens einzelne Lieder ohne Hineingequatsche haben. Dabei kam die Musik über die UKW-Sender noch mit viel Rauschen an. So billig die Aufnahmen auch über den Kassettenrecorder waren, so viel rauschten sie auch. Beim Wachter besorgten wir uns BASF-Cassetten, da die weniger Rauschen versprachen. Aber es half nicht richtig. Die Prog-Rock Jahre in Büscheme wurden uns verrauscht. Das Tonband bot zwar die Möglichkeit, die Begrenzung auf 45 Minuten Laufzeit aufzuheben. War aber gegenüber dem Cassettenrecorder unpraktisch, unhandlich, unflexibel. Manchmal nahm man beim Unterwegssein den Cassettenrecorder mit. Lag schwer in der Hand. Damals auch noch Kopfhörerlos. Kein Walkman-Gefühl. So dass die Umwelt mithören mußte. Der Telefunkenplattenspieler des Vaters bot noch die Möglichkeit 10 Singles stapelweise hintereinander laufen zu lassen. Allerdings ergab sich aus den mehrfach übereinander liegenden Singles eher ein Geschepper statt einem Musikgenuss. Die Beat- und Rockplatten waren allerdings nicht die Sache des Vaters. Der konnte mit dem Musikgeschmack seiner Kinder nichts anfangen. Freddy's Weihnachten auf hoher See blieb gemeinsames Familiengut. Wenn auch heute eher Weihnachten von Erdmöbel der Renner ist: Weihnacht - ist mir doch egal. Ich bin Dreikarat. Kaugummiapparat.

 

 

 

 

 

Gartenspiel und Gartenarbeit

 

Der Garten war für uns Kinder noch der selbstverständliche Spielplatz. Sandkasten, eigene Kinderbeete, das Hühnerhäuschen, Apfelbaum. Die Edelberghohle grenzte noch offen ans Ende des Grundstückes. Hirschkäfer, Eidechsen, Igel waren zu sehen. Später kickten wir auf dem kleinen Rasenplatz zum Wäschetrocknen. Hatten hier zwei Tore mit Stangen, Latte. Ohne Netze. Oft landete der Ball im Apfelbaum. In den Blumenbeeten. Knickten Tulpen. Hörten Mutters Schimpfworte dann. Auch der Nachbar war wegen der Ballflut in seinem Garten wenig begeistert. Dafür spritzte dieser kräftig seine Obstbäumchen, auch wenn wir direkt nebendran auf unserem Grundstück spielten. Waren ja nur so kleine Kinder. So kleine Hände. "Di könne noo woas verdroache." Plastikpanzer von Rocco, beim Spielwaren-Hofmann erstanden, oder auch eingetauscht, wurden auf dem lichten Rasen zur Gefechtsstellung aufgebaut. Man warf kleine Kracher, beim Gressl gekauft, heute mit dem damaligen, aber heute unkorrekten Wort nicht mehr benennbar, auf Panzer, Kanonen, Lastwagen, Jeeps, Soldaten zu. Brennende Kracher. Panzer die nach der kleinen Explosion umkippten, waren aus dem Spiel. Gern stiegen wir auf den Apfelbaum. Einem alten Hochstamm. Der Garten wurde vielfach zur Produktion von Gemüse, Beeren, Früchten, Salat genutzt. Irgendwann kam der Wunsch nach geordneteren Wegen in den Garten auf. Betonieren war nun angesagt. Wir mußten mithelfen. Um den Gartenwiesenstampfbeton anzumachen mußten wir mit dem Schlauch etwas Wasser auf die Sandmörtelmischung spretzeln. Selten zur Zufriedenheit des Vaters. Der Beton wurde trotzdem irgendwann hart. Nun war der Garten, die Beete leichter zugänglich, wenn auch weniger schön. Das waren nun unsere Autobahnen zum Wassertragen. Mit der Zeit endete der offene Charakter unseres Gartens. Die Edelberghohle wurde verdohlt. Zugeschüttet. Die Schleichwege wurden durch Zäune durchtrennt. Die Nachbargrundstücke eingezäunt. Der Garten, das Grundstück waren nun nur noch über die Straße erreichbar. Nicht mehr über die halbprivaten Wege. Der isolierte Hausgarten heutiger Prägung entstand.

 

 

 

 

Wend häär, Wend häär

 

Zu Zeiten der Tour de France, als Didi Thurau 1977 kurzerhand frisch davon zog, trafen wir uns auf dem Brenner zu einem kleinen Umtrunk. Und ahmten beim Umtrinken Thuraus Spurtstärke nach. Es wurde kräftig eingeschänkt, zugetrunken. Ein unbeteiligter Beobachter hätte sich denken können, was dann so geschah. In direkter Nachfolge früherer Büschemer Trunkenheit wurde reingekippt. Was das Zeug so hielt. Irgendwann fiel ich vom Stuhl. Oder so. Wurde auf eine Schlafgelegenheit gebracht. Als ich aufwachte, erinnerte ich mich noch an meinen Orientierungsplan, da ich in einer fremden Wohnung war. Erst links, dann rechts, gerade aus oder so, dann war ich auf dem Klo. Kaum bewegte ich mich links, tangierte ich schon eine Wand. Da noch zu keiner nüchternen Analyse befähigt, verdächtigte ich die Bewohner des Hauses: Di hoawe die Wend verschobe! In Nachfolge eines Büschemer Trunkenboldes, der sich beim Nachhausegang stets an den Häuserwänden orientierte und prompt in den Mühlkanal fiel, da dort keine Wände mehr, und "Häuser häär, Häuser häär" rief, tastete ich mich durch die Wohnung. Im Dunkeln. Im Nachtblinden. Als ich dort, wo ich eine Wand vermutete, in eine Öffnung hineinfiel, dachte ich mir auch: "Wend häär, Wend häär". So trat ich die Nachfolge von "Häuser häär, Häuser häär" an. Und das auf dem Brenner. Und nicht in der Dörgei.

 

 

 

 

Horch!

 

In unsere Büschemer Kindheit hinein galt ein Ruf. Hallte, knallte hinein. Stoppte jegliches kindliches, früh jugendliches Engagement, jede Bewegung, jede unserer Äußerungen. Egal was wir zu sagen hatten. Egal wie wichtig das war. Egal wie wichtig es für uns war. Wir waren mit diesem Ruf ans Ende gelangt. Die Aufmerksamkeit der Eltern, der Erwachsenen galt nun etwas anderem. Horch! Mit diesem Wort wurden wir ausgebremst. Quasi in einen Wartesaal verdammt. Horch! Geschmückt am liebsten und zur Verdeutlichung mit erhobenen Zeigefinger. Horch! Horch! Das hieß in unserer Richtung: Sei ruhig! Halt den Schnabel! Wir hören Wichtigem zu. Allerdings vernahmen wir dieses Büschemerische Horch! meistens dann, wenn im Fernsehen die Tagesschau lief. Wenn das zukünftige Wetter verkündet wurde. Im Radio Nachrichten verbreitet wurden. Also für uns eher an weniger interessanten, wenigst wichtigen Momenten. Womit wir nicht so richtig konform mit dem verlautbarten Horch! gingen. Nicht auf das Schlagzeilen-Fernsehen reagierten. Nicht verstehen konnten, warum Erwachsene, Eltern in einen Ausnahmezustand verharrten. Konnten nicht verstehen, warum diesem Horch im Prinzip nichts folgte und die Erwachsenen selbst in Banalität erstarrten. Erstaunlich auch, wie schnell die Erwachsenen Errungenschaften moderner Technik adaptieren und darauf reagierten, ihr Verhalten darauf abstellten. Schließlich kamen ja erst mit den Volksempfängern Nachrichten aus dem Äther in die Büschemer Stuben. Und womöglich damit auch das Horch! Obwohl ja im heiligen Land, bei seiner katholischen Grundierung, nicht so hundertprozentig auf den Führer gehorcht wurde. Eine genauere Beschau von Josef Dürr's Gedichdli, Geschichdli, zeigt in A(o)m Winderoowend mehrfach den "Horch!" Einsatz. Also vor dem Radio. Das Horch! ist also etwas sehr Büschemerisches, um jegliche Äußerungen zu stillen, und Aufmerksamkeit zu fokussieren.