Hottenloch

Das Hottenloch, ein seltsames Mysterium der Büschemer Flurnamensgebung. Fuhr man mit dem Vater früher die Landstraße Richtung Külsheim, sah man im oberen Bereich noch die Reste der alten Ziegelhütte, die dort nur sehr kurze Zeit stand. Das ist das Hottenloch bekam man zu hören. Die einsamen Ruinenreste der Ziegelhütte mußten dafür herhalten. Oder ich verstand es so, dass das Hottenloch hier wäre. Das wahre Lochige an diesem Hottenloch blieb mir so allerdings verborgen. Und wurde auch etwas von mir vermißt. Ein Loch ist schließlich wie ein Nichts mit Rand. Und das war hier für mich nicht erkennbar. An einen Familienausflug per Wanderung an ein konkretes Hottenloch fehlt mir die Erinnerung. Anderen Büschemer Kindern wurde das Hottenloch ähnlich wenig tiefbohrend erklärt. Die ganze Senke hier und Dienstadt sowieso - das wäre halt das Hottenloch. Sicher gibt die Einkerbung in die Landschaft etwas markantes her. Aber ein Loch ist nicht zu sehen. Oder liegt das daran, dass dieses Hottenloch als wohl wilder städtischer Müllplatz genutzt wurde? Und das Loch unter dem Müll verschwand? Oder unter der Brache der Ziegelei? Unter dem heutigen Reitplatzgelände verschwunden ist? Ob es wirklich hier um eine Ziegelei handelte? Meine Vergangenheitsbilder von den Ruinenresten, die noch Anfang der 1960er Jahre zu sehen waren, erinnerten mit den gerundeten Öffnungen eher an eine Mischungsanlage. Auf einem alten Lageplan ist hier an dieser Stelle ein Kiesbruch verzeichnet.


Gehrig / Müller verwerfen im Bausch und Bogen Berberichs Erklärung zum Hottenloch. Der Fuhrmannsruf Hott - also nach rechts - wäre zu allgemein, würde überall passen, da rechts im Prinzip überall ist. Dennoch sollte hier festgehalten werden, dass Berberich ein rechts von der Straße nach Külsheim meinte, von daher schon eine wenn auch grobe Fixierung festnahm. Gehrig / Müller gehen von keiner lochartigen Senke aus. Kennen wohl auch keine dort. Sondern ziehen das Loch aus dem Loh heraus, das auf alte Wälder verweist. Die Ortskenntnis aber zeigt eher, dass hier oben kein alter Wald war, sondern eine Wüsting, ein Ödland, das erst nach geschätzt 1880 mit der leider typischen büschemerischen Aufforstungsmischung aus Nadelholz bewaldet wurde. Leider auch mit der typischen oft undurchdringlichen Verfilzung von dichten Sträuchern. Ein richtiger alter Altbestand von Bäumen ist nicht vorhanden. Es fällt auf, dass in der Büschemer Literatur keine genaue Beschreibung des Hottenlochs zu finden ist. So bleibt die Form des Hottenlochs leider unbestimmt. In der Moritat von 1830 zur letzten Hinrichtung auf dem Richtplatz heißt es, "Nach dem Hottenloch hinter, strömten Männer, Weiber, Kinder." Merkwürdig, dass sie nicht an die Stelle des markanten Kreuzsteines mit dem Schwert hinströmten. Der unterhalb des Hottenlochbereichs verortet ist. Am nahen Sprait gibt es nach 1900 die Quecksilberbohrlöcher. Die trichterförmige Löcher in den Boden hinein schlugen. Nicht so tief wie das Fuhrmannsloch, aber dennoch sonderbar in der Landschaft, wenn auch heute inzwischen zugewachsen. Oberhalb dieser künstlichen Löcher, auf der wenig gefälligen Hochebene gibt es eine auffällige Häufung von Löchern und Gräben. Die allerdings keinen Ablauf in eine bestimmte Richtung zeigen. Diese liegen in der direkten Nähe des Hundesportbereiches. Selbstverständlich auch hier Nadelholz und dicht verfilztes Gestrüpp, das diese Löcher für den Spaziergänger ziemlich unsichtbar macht. Eine Wasserleitung vom Reitplatz zum Hundesportgelände wurde am Rand durch diese Anhäufung von Löchern getrieben. Ist das das konkrete Objekt des Hottenlochs? Die Hottenlöcher? Der Grund für die Namensgebung? Wenn ja, sollten die Hottenlöcher endlich den Büschemern zurückgegeben werden als Anlaufstelle, was denn das Hottenloch wirklich auszeichnet. Ein Loch in der Landschaft, das rechts liegt. Ok, mehrere rechtsseitige Löcher. Was die Sache mit dem Plural etwas merkwürdig macht. Der Flurnamen lautet schließlich singulär auf Hottenloch. Diese merkwürdige Anhäufung von Vertiefungen, Löchern, Gräben ist schwer bestimmbar: Weder Hottenloch, noch Quecksilberbohrloch, noch Steinbruch? In keinem der älteren Lagepläne ist die Anhäufung von Vertiefungen verzeichnet, auch nirgends erwähnt. Siehe dazu Steinbrüche oder Quecksilberbohrlöcher

 

 

 


Wenn die Büschemer nicht mehr richtig wissen, wo das Hottenloch ist und auch meine Hottenlochtheorie wacklig aussieht, dann hilft ein genauerer Blick in die Flurkarten. http://gistbb.de/gistermweb/pages/map/default/ zeigt Überraschendes. Nichts rechts der Külsheimer Landstraße, sondern links der Külsheimer Landstraße ist der Flurname Hottenloch eingetragen. Auch viel weiter unten als vermutet. Benachbart, aber oberhalb der Hottenlocheintragung in der Flurkarte, liegt das Hottenlochflürlein, von Gehrig / Müller als Ausgleichszelge charakterisiert. Als Ergänzungsflur in der Dreifelderwirtschaftsweise. Auf der anderen Straßenseite, die steilen Hanglagen hoch heißen Hottenlochweinberge. Die Grundstücke am Hottenloch zeigen einige Auffälligkeiten. Die meisten verlaufen nicht geradlinig, sondern gekrümmt. Das ist dem Gefälle zu verdanken, das in zwei Richtungen verläuft. Nach dem eingezeichneten Grenzenverlauf führt ein Weg in die Mitte des als Hottenloch gekennzeichneten Bereichs, hört aber auffälligerweise mittendrin auf. Ein Blick auf Google maps zeigt Bodenflecken auf, die meistens auf einen früher vorhandenen Unterschied im Gelände, in der Bebauung hinweisen. Diese Hinweise verdanke ich einer intensiven Diskussion mit H. Beierstettel. Also auch hier gibt das hier vermutete Hottenloch noch nicht seine Geheimnisse preis. Genaue Geländebegehung steht noch an. Wenn hier tatsächlich das Hottenloch ist, was sind dann die Löcher oben am Sprait? Doch Relikte der Quecksilberbohrungen? Dafür spricht, dass es von dieser Anzahl von Vertiefungen keinen Abflussgraben gibt. Zum anderen ist erstaunlich, dass diese Vertiefungen keinen tradierten Flurnamen haben. Was auf eine spätere Entstehung der Vertiefungen hindeutet. In manchen Gegenden werden die Budden zum Rebentraubentragen auch als Hotten bezeichnet. Hier in der Nähe von Weinbergen also ein früher gängiger Begriff. Also nicht Hott wie rechts, wie das Berberich vermutete. Wenn hier das Hottenloch links der Külsheimer Straße liegt, dann wußte man schon 1830 nicht mehr richtig, wo dieses zu finden ist. Denn die Moritat von der letzten Büschemer Köpfung schrieb von einem Hottenloch hinter strömen. Das linksseitig der Külsheimer Straße seiende Hottenloch liegt aber nicht günstig zum Richtplatz. Aber halt. Auf einigen alten topographischen Karten um 1900 herum, ist der Richtplatz da eingezeichnet, wo heute der Reitstall, der Reitclub ist. Also weit oberhalb des Kreuzes mit Schwert. Birgt der wahre Richtplatz in der Flur auch noch ein Geheimnis? Das Geheimnis des Büschemer Hottenlochs ist noch zu heben. Eine schöne Aufgabe für Landschaftsumgänger. Bzw. mehrere schöne Aufgaben. Eine Aufgabe, die H. Beierstettel bereits mit mehreren Bekundschaftungen des Geländes nachgegangen ist:

Hottenloch


Ältere Lagepläne geben allerdings keinen genaueren Aufschluss über ein Loch am unteren Ende der Senke, die wohl genauer als Klinge zu bezeichnen wäre. Müller/Gehrig verorten im Hottenloch den Wasenplatz. Und das 1851 abgerissene untere Wachthäuschen wieder errichtet als Wasenmeisterhütte am Wasenplatz. Aber auf Karten um 1900 herum ist kein Wasenplatz am Hottenloch verzeichnet. War er hier schon seiner Aufgabe befreit? Wurden die Tierkadaver hier nicht mehr entsorgt? Die Gruben schon längst mit Erde überdeckt waren? Trug dieses optische Verschwinden der Tierkörperentsorgung zum Vergessen des konkreten Hottenlochs bei? Während der negative Klang beim Hottenloch bliebt? In den Flurkarten nicht verzeichnet, so überlebte im Büschemer Volksmund die Flurmarkung Schinnersklinge. Die absolut passend auf den Graben, auf die Klinge beim Hottenloch passen würde. Wo war nun der Wasenplatz? Rechterhand der Klinge, im oberen Hangbereich, der sich so schön der Klinge zuneigt, gibt es eine merkwürdige Zuwegung, die mitten an Grundstücken endete. War das der Zuweg zum Wasenplatz, an dem man die Kadaver abkippte, zur Abdeckung? Dass der Wasenplatz nicht direkt an der Külsheimer Straße, einer Geleitstraße, angeordnet war, ist nachvollziehbar. Ein Wasenplatz am oberen Hangbereich wäre einigermaßen von der Straße entfernt. Auf Google maps entdeckt man an dieser Stelle Verdunkelungen. Das könnte auf eine andere frühere Nutzung hindeuten. Möglicherweise auf den Wasenplatz. Aber wo stand die Hütte des Wasenmeisters? Die Frage ist weit offen und harrt auf Überlegungen, auf Nachforschungen. Der Graben neben der Külsheimer Straße war früher eine sehr respektable Hohle, Hottenlochshohle genannt. Die Verbreiterung der Straße verknappte die Fläche, die für die früher tief eingeschnittene Hottenlochhohle zur Verfügung stand, verringerte Breite und Tiefe. Zu einem genormt-halbgerundeten Graben, dem jegliche Wildheit, jegliches Geheimnis, jeder Zauber abhanden gekommen ist. Wenn in diesem Bereich das Hottenloch ist, dann ist auch wahrscheinlich, dass das Loch vom Hottenloch vom Loh, einem früheren Wald, nun gerodet, herkommt.


Bei einem Besuch des Hangbereiches im Oktober 2018 kommen Bedenken, ob dieses stark hängige Gelände tatsächlich der Wasenplatz sein könnte. Eher ungünstig. Und so einen richtigen Standort für das ehemalige Wachthäuschen gibt es hier auch nicht. Eine kleine Befragung zufällig in diesem Bereich tätiger Personen (genauer eine, auf einer Leiter stehend beim Baumausputzen) gibt einen möglichen Hinweis. Der Wasenplatz samt einer größeren Behausung wäre weiter oben gewesen. In der Nähe der oberen Einfahrt in den Wald. Das hätte immer ihm sein Vater erzählt. Es darf also weiter gesucht und spekuliert werden. So schnell gibt der Landschaftsbereich hier seine Geheimnisse nicht her.


Aber irgendwann muss er es hergeben. Der Wasenplatz, Schinnerplatz ist weiter oben, Dienstadt zu. Da wo heute die städtische Waldhütte steht! Wo gegrillt wird, Schweineres gegessen wird. Und darunter die alten Knochen der abgeschinnerten Büschemer Tiere liegen! Und passend dazu breitet sich neben dem Weg zur Hütte ein durchaus tiefer Graben aus. Die Schinnersklinge. Damit ist das Hottenloch befreit von seinem negativen Klang. Eine wunderschöne Büschemer Ecke, wenn auch wenigen im Bewußtsein. Wieder Entdeckenswert.



Das linksseitige Hottenloch? Ein Graben - von Gebüsch, Bäumen überdeckt, zur Külsheimer Straße ziehend, links und rechts Gefälllage der Grundstücke zu diesem Graben hin. Eine auffällige Senke in der Landschaft, die nach einem Namen ruft. Unterhalb des Grabens soll sich früher ein Loch befunden haben. Typisch büschemerisch mit Bauschutt verfüllt. Das Hottenloch? Von dem keiner in Büscheme mehr so richtig weis, wo es liegt?

 

 

Im Hintergrund die auffällige Senke zum Graben hin. Zum Graben beim Hottenloch?


 

 

 

 


 


 

 

 

Hottenloch - Noch vor Ausbau Külsheimer Straße





ERGÄNZUNG DEZEMBER 2020


Dass das Hottenloch nicht umsonst so einen etwas mysteriösen, negativen Beiklang im Büschemerischen hatte, zeigt die innovative Geleitforschung von Hendrik Beierstettel zum Büschemer Geleit. Als der bisherige Geleitweg Richtung Miltenberg über den Sprait immer mehr verkam, nutzte man den Weg unterhalb der Hottenlochsweinberge und am Rand der Hottenlochshohle, also am Hottenloch vorbei. Auch dieser Weg fand nicht immer die Zustimmung der Fuhrleute, der Frankfurter, Nürnberger Kaufleute. Zu eng sei der Weg, zu groß die Gefahr, dass Pferde und Wägen in den Steilabgrund der Hottenlochhohle abrutschen könnten. Bei der Fahrt hoch macht also das Hott des Fuhrmannes durchaus großen Sinn, um die Pferde rechts weg vom Abgrund zu halten. Das Hott des Hottenlochs wäre also hier doch sehr konkret und nicht überall entgegen der Deutung von Gehrig/Müller. Ein Hott, das mit dem Angstschweiß der Fuhrleute, Handelsleute und wohl auch der Zug Pferde verbunden war. Dieses Angst-Hott könnte dem Bereich des Hottenlochs das Hott gegeben haben. Und auch das Wissen darum, dass es ein gefährlicher Bereich ist bzw. war, ein Ort an dem Unglücke drohten. Das hat sich dann auf den Bereich entlang der Hottenlochshohle, der Hottenlochsweinberge bis oben zum ehemaligen Richtplatz übertragen. Während der eigentliche Grund in den späteren Jahren immer mehr in Vergessenheit geriet, da der Umbau dieses einst gefährlichen Weges zur Külsheimer Straße immer mehr die Gefahrenstellen entschärfte und verschwinden ließ. Hendrik Beierstettel hat einen schönen Aktenfund dazu wieder ins Büschemer Geschichtsbewußtsein geholt, der der Deutung des Namens Hottenloch neuen guten Stoff gibt. 


Neubau der Geleitstraße Würzburg - Büscheme - Miltenberg Mitte des 18. Jahrhunderts


Die Geleitstraße Nürnberg - Frankfurt zwischen Würzburg - Bischofsheim - Miltenberg

 


Hendrik Beierstettel hat auch noch eine interaktive Geleitkarte erstellt, auf der sich  wunderschön die Geleitstrecke von Würzburg - Büscheme - Miltenberg nachvollziehen lässt. Mit den aufgefundenen und möglichen Alternativwegen und heute noch sichtbaren Spuren:


https://www.google.com/maps/d/u/0/edit?mid=1ZPNz4MYeEwPoJMblQqB3Vbu6OO1RppDA&usp=sharing




Im Sommer 2022 traf ich mich mit einem Büschemer, einige Jahre älter als ich, zu einem sehr netten Austausch über Büscheme. Es erfolgte eine Rehabiliierung der Hottenloch-Ansichten meines Vaters. Der Büschemer teilte dessen Ansicht, dass das Hottenloch oben am Reitplatzstandort war. Ein Graben, der immer mehr mit Müll zugepflastert wurde und so nicht mehr sichtbar war.


Gefällt mir immer mehr, dass Büscheme zum Hottenloch soviele unterschiedliche Ansichten und Verortungen hat. So muss das auch sein mit einem Hottenloch! Alles ist Hottenloch. Oder nicht?