Gerbergasse

Die Gerbergasse. Ein kurze Gasse. Ein gebogene Gasse. Die Lage der Gerbergasse war funktional vorbestimmt: "In den Lohmühlen wurde Eichenrinde gestampft und dann zermahlen. Von ihnen bezogen die Gerber die zermahlene Eichenrinde, Lohe genannt, und streuten sie zwischen die eingeweichten Tierhäute, die mittels der in der Lohe enthaltenen Gerbsäure zu Leder gegerbt wurden. Nach dem Gerbvorgang, der mehrmals wiederholt werden musste und viele Monate dauerte, mussten die Häute mit reichlich Wasser abgewaschen werden. Diese Lohebrühe wurde rotbraun, so entstand die Bezeichnung Rotgerber. Wegen der rötlich verschmutzten Abwässer hatten Rotgerber (Lohgerber) ihren Platz immer am Ausgang der Stadt und in der Nähe eines Bachs oder Kanals. Auch in Bischofsheim reichte die Gerbergasse bis zum Mühlkanal." (Gehrig/Müller, S. 370/371). Der Zürnersche Stadtplan von 1790 weist auf der Höhe des ehemaligen Hammels auf dem Mühlkanal eine Mang- und Färberei auf. Auch Wilhelm Weigand wußte in seinem Frankenthaler um die notwendige Lage der Gerber. Seine Gerbergasse lag ebenfalls in der unteren Stadt, nahe eines Gewässers. Im Vermögens- und Berufsverzeichnis von 1730 werden 10 Rotgerber gelistet: "10 Rotgerber: 8 nähren sich vom Handwerk und Gütern; einer hat Ochsengespann; zwei können wegen Armut das Handwerk nicht mehr treiben; einer nährt sich jedoch von seinen Gütern mittelmäßig, der andere schlecht mit wenig Gütern". (Gehrig/Müller, S. 231)


 

Von der Gerbergasse aus gibt es neben dem Haus der früheren Synagoge einen unbenannten Durchgang in die Bachgasse. Die Stadtviertel waren früher viel durchlässiger als heute. Hatten heute nicht mehr vorhandene Gäßchen, Eingänge durch Tore, Torbogen wie z. B. die beiden Scheingassen vom Marktplatz aus in Richtung Kirche bzw. zu den Hinterhöfen des Arme Gassenviertels.


Die Gerbergasse hieß auch untere Gerbergasse, die benachbarte Bachgasse obere Gerbergasse. Es gab arme und reichere Gerber. Nach den Gebäuden zu schließen, waren die reicheren Gerber in der oberen Gerbergasse, also in der heutigen Bachgasse. Man kürzte die Gerbergasse auch als Gerbgasse ab.


 

Die Gerbergasse barg in den 1960er/1970er Jahren den Krötenkeller. Mit der Ästhetik einer Tropfsteinhöhle und dem Geruch einer Räucherhölle. Das übernahm dann Mitte der 1970er das Quasimodo, das Quasi. Das Kellerlokal der Büschemer Jugend. Von der Mauer am Badgarten als sommerlichen Treffpunkt war es nicht weit. Das Quasimodo mit Carlo, Stefano, Toni, das war die büschemerische Version der Deutsch-Italienischen Freundschaft. Dazu gab es die scharfe Pizza Nummer fünf. Das Quasi war lange der Büschemer Jugendhausersatz. Die Büschemer Jugendhausbewegungen gingen alle vom Quasi aus. Trotz langwierigem Minuten lang anhaltendem Alternativgedudel und dem ewigen Neil Young ließen wir gerne Carl Douglas Kungfu-Fighting erklingen. Der Wirt hatte sogar Frank Zappas Freak out vorrätig, wenn auch in einem anderen Cover versteckt. An der Theke sitzend konnte man das musikalische Programm dominieren. Und auch mal Musik spielen, die nicht allen Freaks gefiel. Es gab ja das vordere und das hintere Quasi. Das hintere war unser Quasi. Vorne fingen dann in den späten 1970er Jahren Jüngere an AC/DC zu mögen. Da bemerkte man bei sich schon einen leichten Generationsunterschied. Merkte man, dass die hinausgezögerte Jugendzeit zu Ende war. Aber irgendwann kam man dann doch noch auf Hells Balls und Highway to Hell. Und stampfte kräftig mit. Schüttelte rhythmisch oder wirr die Rübe dazu. Spielte man gar Luftgitarre? 


In den 1980er Jahren kam das Ende des Quasimodos. Wir konnten allerdings unsere Jugendphase im Turmwächter, im Beckmann vormals Object verlängern. Der Betreiber des Objects - Klaus Galli - wechselte dafür in den 1980ern in den Krötenkeller und leitete einige Jahre lang eine modernisiertere Version namens Cafe in Takt.  Ein schönes Revival erlebte das tropfsteinartige Quasimodo als Contra der Megakerls / Schönfelder Torpedos. Wenn auch nur ein kurzes. Das Casa Rotti ließ den Jugendcharakter der Gerbergasse nochmals in neue Höhe steigen. In Büscheme hieß es für die Jugend lange degenhardtisch schmuddelkinderhaft: Geh doch in die Unterstadt. Mach's wie deine Brüder. Schwestern. Freunde und Freundinnen. Am Kellereingang des Quasis in der Gerbergasse war lange über der Tür zu lesen: Friede den Hütten, Krieg den Palästen. Vom Büchnerischen Hessischen Landboten stammte neben diesem Spruch auch die Büschemerische Alternativpostille Tauberfränkischer Landbote ab. Deren Verfasser und Leserschaft im Quasi aus und ein gingen. Leider verschwanden um 2018 die Kontra-Außenschilder am Quasimodo-Casa Rotti-Gebäude.


Das Quasi war schon in den 1960ern eine Musikkneipe. Wenn auch mit anderem Name: Krötenkeller, Kristallgrotte. Daran erinnert Reinhard Koch, Mitglied der Weikersheimer Band Les Vampires in seiner Biografie Auf und Ab von 2010.

 

An die Tätigkeit der Gerber, an die Gerbergasse erinnert der alte -etwas chauvinistische - Büschemer Spruch in einem Josef Dürr Gedicht: "Englender, Russ, Franzous unn Särwe - A jedem dunn-si's Fell vergärwe."