Gymnasium


 

Adam Kempf: Erlebtes und Erlittenes. Gedichte. Eigenverlag. Werbach 1987.

Als dieser Gedichtband 1987 erschien, wurde er zunächst ohne größere Aufmerksamkeit und ohne nachhaltige Wirkung wieder beiseite gelegt. Die Rasterfahndung der eigenen Kriterien was ein Buch für einen wertvoll, interessant macht griff bei den Versen Kempfs, den man am Tauberbischofsheimer Grünewald Gymnasium einige Jahre als Lateinlehrer erlebt hatte, nicht. Kempf, aus Werbach stammend, in Werbach wohnend, war wohl einer der wenigen Lehrer, die mit dem voll gefüllten Schülerbus mittendrin in der lärmenden Schülerschar zur Schule fuhren. Das war auch die Welt Adam Kempfs: Die Schule, das Gymnasium, Latein und Griechisch. Endgültig verdeutlicht im Gedicht „Sehnsucht nach der Schule“ (Seite 52): „Möge Gott mich gesund erhalten! / Nie wird meine Lieb’ erkalten / Zu den alten Griechen, Römern. Hab’ stets Sehnsucht nach den Räumen, / Wo ich einst als Lehrer stand / In der „Alten“ Zauberland.“ Zufälligerweise wurde man auf die Gedichte Kempfs aufmerksam, als man den ehemaligen Lehrer in den 80er Jahren bei einer Schienenbusfahrt von Bad Mergentheim in Richtung Lauda erleben konnte, wie er übernächtigtem, vom Alkohol gezeichnetem Jungvolk, deklarierte, dass er Hunderte von Gedichten geschrieben habe und zudem mehr oder weniger eine kostenfreie Schulstunde hielt, die allerdings wenig fruchtete, da das angeschlagene Jungvolk wohl kaum die humanistische Bildung eines Gymnasiums erfahren hatte und sich über die Bemühungen Kempfs eher belustigte, den älteren Herren mehr schrullig empfand. Der erstaunliche Prachtband „Tauberfränkische Schatztruhe. Versuch einer Anthologie“ von Bruno Rottenbach, Frankonia Buch, Tauberbischofsheim 1997(?) nahm Kempf mit der Wertung „ist nicht alles große Dichtung“ auf. Große Dichtung, das war auch nicht die Intention, der Anspruch Kempfs. Der Widmung ist zu entnehmen, dass er alle Zeilen nur für seine Lebensgefährtin, seine Ehefrau schrieb. Kempf gibt Auskunft über sein Leben, seinen Werdegang, über sein schulisches Erleben und Wirken, über seinen Herkunftsort Werbach. Die Gedichtzeilen, die oftmals holprigen, oft auch sehr schlichten Verse von Kempf machen sein Leben, seine Lebenseinstellung nachvollziehbar.

Kempf, wie viele Lehrer und Pfarrer aus Tauberfranken, dem Odenwald, dem Bauland, dem Gau, stammte aus ärmlichen Verhältnissen, der Vater war Steinhauermeister und Nebenerwerbslandwirt. Insofern war Kempfs Weg ins Gymnasium nicht vorgezeichnet. Wie bei vielen in unserer Region erkannte der Ortspfarrer sprachliche Fähigkeiten in dem Jungen, erteilte diesem Sprachunterricht in Latein und machte den jungen Kempf Gymnasiumsreif. Zu Fuss zum Bahnhof in Hochhausen nahm Kempf den alltäglichen Weg zur Schule. Da damals noch die Ansicht herrschte, dass Klassenarbeiten in der ersten Stunde geschrieben werden müssen, da hier noch die Schüler geistesmäßig am frischesten, konnte die Klassenarbeit erst angefangen werden, wenn Kempf – als Letzter an der Schule eintreffend – vom Tauberbischofsheimer Bahnhof anmarschiert war (Gedicht auf Prof. Leo Schleyer, Seite 104). Die Schüler aus Tauberbischofsheim und dem Konvikt hatten einen zeitlichen Heimvorteil gegenüber Kempf, konnten früher erschienen, waren nicht an einen Fahrplan gebunden, nicht Zugverspätungen unterworfen. Kempfs Vater hatte ihm den Besuch des Konvikts empfohlen (Vaters Vermächtnis, Seite 72), was aber wohl nicht realisiert wurde. Kempf dichtet von seinen ehemaligen Lehrern und Direktoren wie von huldvollen Majestäten, Zeus gleich, die ihm höhere Weihen zukommen ließen. Selbst der Hausmeister des (alten) Tauberbischofsheimer Gymnasiums wird von ihm hoch gelobt (Gedicht auf Direktor Eduard Rach und seinen Hausdiener Lorenz Kraft, Seite 85 und Gedicht auf Lorenz Kraft aus Böttigheim, Seite 106). Stammte nicht der in Tauberbischofsheim bestens bekannte Ausspruch „Der Herr Direktor und ich haben beschlossen“ von Lorenz Kraft? Kritik an seinen Lehrern wird von Kempf nicht geübt. Vaterfiguren sah er in ihnen, besonders nachdem sein Vater früh verstarb. Lehrer erkannten seine sprachlichen Begabungen und förderten ihn. Einen Schülerstreich, den Kempf in der Obertertia verübte, indem er dem Lehrer einen Gummi ins Gesicht schoß, schmerzte Kempf auch noch bei der Gedichtlegung 1987, in Erinnerung, dass er einem Förderer seiner Person mit einem naiven Streich bedeckte. Majestäten gleich die Reaktion des Lehrers. Nur die Frage „Wer war das?“, nach der Selbstmeldung Kempfs ein gestrenger Blick und die Aufforderung „Setz dich!“ (Gedicht auf Prof. Leo Schleyer, Seite 104). Kein langer Cirkus, echte Autorität und fertig. Respekt! Und Respekt ist das was Adam Kempf seinen Lehrern, Förderern und väterlichen Freunden gegenüberzeigt. Und Dank (Für Professor Alois Philipp – Königshofen). Kempf wusste, dass ihn das Gymnasium aus dem vorgezeichneten Lebensweg als Steinhauer oder Landwirt enthob, ihm eine andere Welt ermöglichte, die er vor allem in den Lateinern und Griechen, wenn auch längst vergangen, mythisch aufgeladen fand und empfand.

Aber auch seine Schulkameraden werden von Adam Kempf verehrt, gelobt, hochgehoben. Paul Julier wird von ihm als Original betitelt (Gedicht auf Paul Julier, Seite 94). Ja, Ja. Wer kennt schon noch Lehrer, die morgens aus der nahe gelegenen Sauna kommend, das Gymnasium (Grünewald) mit Badelatschen und im Bademantel betreten? Der Rezensent verspürt heute noch die physischen Nackenschläge Juliers, die der Rezensent in der Mathestunde an der Tafel versagend, brutal gezielt erhielt und dazu den Reim erhören durfte „An der Tafel steht ein Greis, der sich nicht zu helfen weis!“ Physischer und psychischer Knockout, schon in den ersten Runden. Er war ein Original, dieser ehemalige Faschingsprinz und Dirigent! Der Rezensent gehörte nicht wie Adam Kempf zu den Schülern, die auf dem Gymnasium gefördert wurden. Vielmehr rechtschnell hinaus befördert. Auch der spätere Tauberbischofsheimer Pfarrer und Dekan Ludwig Mönch rechnete zu Adam Kempfs Schulkameraden (Gedicht auf meinen Mitabiturienten Ludwig Mönch aus Freudenberg am Main, Seite 82), die ehrend bedichtet werden. Während dessen der Rezensent eher eine Reaktion Mönchs im Religionsunterricht in der Erinnerung hat, in der dieser, über uns als aufmüpfigere Schüler der Nach69er Zeit verzweifelter, uns zurief, dass er im Kriege den Kopf für uns hingehalten hätte und deshalb unsere aufmerksame Zuhörerschaft und aktive Mitarbeit verdient hätte. Wir Nachkriegsgeborene hatten allerdings vom Kriege und vom Kriegerzähltbekommen längst genug, hatten mit dem ehemaligen Feinde oft genug fraternisiert „Ami – Kaugummi!“, verlangten nach Coca-Cola und Pommes frites, sympathisierten mit den Schmuddelkindern aus Degenhardts Unterstadt, in denen wir uns selbst – zumindest teilweise – erkennen konnten, träumten von schlagfertigen Frauen wie Emma Peel, von sexy Girls in knappen Hotpants, von bewusstseinserweiternden Drogen, von aufregender nichtkommerzieller Undergroundmusic, von politischem Engagement, das aus dem engen Kleinstadtkäfig hinaus half. Revolte war angesagt (in der Zeit, als man Adam Kempf als Lehrer begegnete) bzw. kündigte sich an, wenn auch meistens nur im kleinsten Maßstab verwirklicht. Revolte war allerdings nicht die Sache Adam Kempfs, hier herrschen eindeutig Lehrerlob, Schulkameradenlob, Verehrung der Eltern auf den lyrischen, poetischen Feldern. Etwas auffällig ist, dass Kempf alle Direktoren des Tauberbischofsheimer Gymnasiums – denen er biographisch begegnete - bis auf Leo Klein in seine Gedichte einbezieht. Unklar, was uns das sagen könnte, eventuell sagen sollte.

Kempfs Gedichte lassen sich größtenteils chronologisch zuordnen, Gedichte aus den Jahren 1943-1947, in denen das Versmaß mit fast juveniler Kraft eingehalten wird, Gedichte aus den 1980er Jahren, in denen Kempf seine Lebenserinnerungen auffrischt, niederschreibt, mehr der Bericht als das gereimte Gedicht ihm wichtig ist. Der zweite Weltkrieg war ein Einschnitt in Kempfs Leben, er heiratete mitten im Kriege, wurde lebensgefährlich verwundet, geriet in Gefangenschaft, sein Bruder fiel, die Mutter verstarb. Das alles schlägt sich in den Gedichten der Kriegsjahre nieder, die dennoch auch Liebesgedichte, Hommagen an die Ehefrau zuließen. Den Krieg empfand Kempf als brutal, aber der deutsche Sieg wurde von ihm erhofft, zudem finden sich typisch soldatische Heldengedichte: „Stalingrad, Wolgastrand. / Heldengrab, Kampfesland! / Uns’res Leid’s innig Band, / Unserer Treue Unterpfand! // Stalingrad, Trümmerfeld! / Heldenlied aller Welt! / Jeder Schein hier zerfällt. Stammelnd Wort nur missfällt. // Stalingrad, ein Fanal! / Wendepunkt! Führst einmal / Uns empor aus dem Tal / Zu des „Reiches“ Siegesmahl??? (Gedicht Stalingrad, Seite 21) oder „Tränen Eure Lieb’ bezeugen. / Ehrfurchtsvoll sollt Ihr Euch neigen / Vor den Männern, und vor allen, / Die für Deutschland sonst gefallen! // Denn aus Tränen, Blut und Trauer / Füget sich eine Mauer: / Darauf gründend, burgengleich, / Wachse einst das Deutsche Reich.“ (Ihrem Tod die Treue, unserem Stolz die Tat, Seite 15). Der Schrecken des Krieges wird nur aus deutscher Sicht gezeichnet, damals herrschende Terminologie aufgreifend: „Trotz Mord an Greisen, Frauen und Kindern, / Die Tatkraft lassen wir uns nicht mindern. / Mag feige durch Terror es jetzt triumphieren. / Den Kampf wird Albion doch verlieren!“ (Terrorangriff, Seite 17). Den Glauben an den „Endsieg“ hatte Kempf (1943) nicht verloren, ein Widerstandskämpfer war er nicht. Nach dem Kriegsende erhielt er den „Persilschein“: „Nach dem Krieg kam die Entnazifizierung. / Rudolf hatte gut noch in Erinnerung, / Was wir damals sagten, schrieb recht gern dann mir / Ein Entlastungszeugnis. Herzlich dank’ ich Dir.“ (Gedicht auf Rudolf Wohlfahrt und seine Frau, Seite 99).

Weltmännische Erfahrungen waren wohl Adam Kempfs Sache nicht. Nur zwei Reisegedichte, ein Gedicht über einen schulischen Griechenlandaufenthalt (Für Kempf als Lateiner und Griechen ein Zauberland; Im Memoriam Wilhelm Ost, Seite 91) und ein vierzeiliges Urlaubsgedicht (Kuhgeläut in Mellau, Seite 40) künden davon. Seine Naturgedichte, Naturbeobachtungen, Landschaftsbeschreibungen bleiben auf Werbach und engste Umgebung begrenzt. Adam Kempf begegnet seiner Werbacher Lebenswelt, seinem Herkunftsort unbefangen, undistanziert, spiegelt mehr Bubenstolz und Kindheitsglück wieder, die humanistische Bildung Kempfs führt nicht zur Abgrenzung der eigenen Abstammung. Kempf hat auch kein kritisches Verhältnis zu dieser und bildet diese in ihrer Originalität direkt ab. Tauberfränkische Lebensverhältnisse, kleine Alltagsgeschichten sind Schwerpunkt der Kempfschen Gedichte über Werbacher Originale, Mundartliches wird eigensprachlich korrekt niedergeschrieben, die herrschende Trunksucht der Werbacher Unterschicht ohne Anklage verzeichnet, eher schmunzelnd verkündet.

Große Dichtung ist im Gedichtsband von Adam Kempf nicht zu finden, vielmehr ein Selbstzeugnis in Gedichtsformen, die über genauere Analyse ein tauberfränkisches Leben nachzeichenbar macht, von dem man selbst einen kleinen Teilausschnitt, aus Schülersicht, erfahren konnte. Wenn zudem die eigene Familiengeschichte mit dem Geburtsortes Kempfs, Werbach, bis ins Jahr 1670 stammbaummäßig dokumentierbar ist, darf man getrost diesem Bändchen, auch wenn man es vor über zwanzig Jahren eher unbeeindruckt weggelegt hat, seine Referenz erweisen. 







1933 - 1936
Am Gymnasium ist nur noch ein Schüler jüdischen Bekenntnisses. Auch dieser mußte den Hitler-Gruß schulordnungsmäß erweisen. (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 35)


21. April 1933
Der Uissigheimer Pfarrer Ebel wird vom 17.-20. April 1933 in Tauberbischofsheim in Schutzhaft genommen. Anlaß waren seine entschieden gegen den Nationalsozialismus gerichteten Predigten. Schüler und Abiturient des Tauberbischofsheimer Gymnasiums. Zögling des Konvikts.


Frühjahr 1934
Nachdem der Reichsinnenminister am 25. Apri 1933 ein Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen erlassen hatte, aufgrund dessen 1934 die Zulassung von Abiturienten für das Hochschulstudium beschränkt, und ein Kontigent für Baden auf 574 Abiturienten festgesetzt wurde, also ein Numerus clausus mit Länderquote, bekamen vom Abiturjahrgang 1934 von 32 Tauberbischofsheimer Abiturienten elf die Hochschulreife anerkannt. Im Erlaß des badischen Kultusministeriums  vom 15. Februar 1934 wurden als harte Kriterien für die Zulassung zur Universität u. a. die unbedingte nationale Zuverlässigkeit und Hingabefähigkeit im Sinne der nationalsozialistischen Staatsauffassung genannt. Von den elf Abiturienten am Tauberbischofsheimer Gymnasium, denen die Hochschulreife zuerkannt wurden, waren neun Zöglinge des Erzbischöflichen Konvikts Tauberbischofsheim. Tauberbischofsheimer Bürger mit unbedingter nationaler Zuverlässigkeit und Hingabefähigkeit im Sinne der nationalsozialistischen Staatsauffassung lösten einen Proteststurm gegen Direktor Lang aus, da sie ihre Söhne der nationalsozialistischen Zuverlässigkeit und Hingabe nicht bei der Vergabe der Studienplätze berücksichtigt fanden. (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 43)


9. April 1934
Der Direktor Hermann Lang des Gymnasiums Tauberbischofsheim (seit 1932 dort Schulleiter) berichtet an das Ministerium des Kultus und Unterrichts, dass es Vorwürfe gegen ihn als Direktor und dem Gymnasium gibt, "als ob wir bewußt und mit Absicht Abiturienten, die sich in der nationalen Bewegung verdient gemacht haben, hinter andere zurückgestellt hätten, indem wir die Schüler des Konvikts grundsätzlich den anderen Schülern vorgezogen hätten." (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 43)


10. April 1934
Am Gymnasium Tauberbischofsheim geht ein Schreiben des Ministers des Kultus und Unterricht mit Fragebogen ein: "Zu Beginn des neuen Schuljahres muß ich einen Überblick über die Zahl der Angehörigen der Hitlerjugend, des Jungvolks und des Bundes deutscher Mädchen an den Höheren Lehranstalten und an den Fachschulen gewinnen. Gleichzeitig möchte ich wissen, welche Lehrer sich in obigen Verbänden betätigen und in welcher Eigenschaft." (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 34)


21. April 1934
Der Direktor des Tauberbischofsheimer Gymnasiums,  Hermann Lang, mit Lehrbefähigung in Latein, Griechisch, Deutsch, 1906 das Abitur in Tauberbischofsheim erlangt, wird zwangsweise vom Kultusministerium an das Gymnasium in Mannheim versetzt. (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 43)


11. März 1935
Das Kultusministerium wendet sich an die Schulleitung des Gymnasiums, da ein Religionslehrer die religiöse Kampfschrift 'Der neue Mythus und der alte Glaube' von Anton Koch, die sich gegen Rosenbergs Mythus des Jahrhunderts wendet, in der Schule an Lehrer verteilt habe. (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 40)


1936
Um die Eintritte in die Verbände der Staatsjugend (JV, HJ, BDM) zu fördern, wie der Samstag als Staatsjugendtag eingeführt, an dem die Schüler, die in der Staatsjugend organisiert waren, Samstags frei hatten. Nichtorganisierte Schüler, dazu gehörten vor allem die Zöglinge des Tauberbischofsheimer Erzbischöflichen Knabenkonvikts, mußten am Samstag in die Schule und erhielten dort staatspolitischen Unterricht, sangen Lieder. (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 34)


März 1936
Schreiben des Ministers des Kultur und Unterricht an das Gymnasium Tauberbischofsheim: "Daß es zu den Amtspflichten der Schulleiter und Lehrer der staatlichen und privaten Schulen gehört, die Staatsjugend (Jungvolk, HJ und BDM) mit allen Kräften zu fördern und bei Schülern und Schülerinnen für den Eintritt in sie zu werben, ist schon wiederholt betont worden." (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 34)


6. November 1937
Erlaß des Ministers für Kultus und Unterricht, das Gymnasium Tauberbischofsheim wird in eine Oberschule für Jungen umgewandelt. Damit Aufhebung des altsprachlichen Charakters des Tauberbischofsheimer Gymnasiums. Sprachenfolge in den Anfangsklasse war nun Englisch (Klasse 1), Latein (Klasse 3), Französisch (Klasse 7). Neuer Name Franken-Schule. (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 34)


1938
Auflösung der Aufbauoberrealschule in Tauberbischofsheim; Angliederung der fünf Restklassen an die "Frankenschule" - Oberschule Tauberbischofsheim.


April 1938
Aufforderung der Schulaufsichtsbehörden an die Schulleitung des Gymnasiums / Oberschule, mitzuteilen, welche Lehrer der NSDAP, dem NS-Lehrerbund, anderen NS-Organisationen angehören, ob sie den Reichsschulungsbrief beziehen. "Man staunt, wie oft da noch im Tauberbischofsheimer Kollegium das Wörtchen 'nein' auftaucht." 1945 waren 13 Lehrer keine Parteigenossen. (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 40)


22. Februar 1939
Schreiben des Kultusministeriums an das Erzbischöfliche Konvikt Tauberbischofsheim, daß Schüler an Anstalten, deren Zöglinge nicht in die HJ eintreten, mit Wirkung vom Schuljahr 1939/40 in die Höheren Schulen nicht mehr aufgenommen. Damit war die Sonderstellung des Tauberbischofsheimer Konviktes bedroht, teilweise beendet. Die Zöglinge des Konviktes wurden in die HJ überführt und mußten mit besonders intensivem Exerzierdienst ihren Nachholbedarf an strammer Haltung abbauen. (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 35)


1941
An der Oberschule Frankenschule wird ein Gymnasialer Zug eingerichtet mit der Sprachenfolge Latein - Griechisch - Englisch.  (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 34)


1941
Nach der Verkürzung der Gymnasiumszeit auf acht Jahre machten 1941 nur noch die beiden Mädchen Reifeprüfung, während die männlichen Schüler allesamt eingezogen waren (Reichsarbeitsdienst, Kriegsfreiwillige. (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 37)


3. Oktober 1943
Schüler des Gymnasiums aus der Klasse 7 und Klasse 8 werden im Raum Mannheim und im Raum Frankfurt als Luftwaffenhelfer (Flak) eingesetzt. (Bischof, Schule im Dritten Reich, Seite 38)






Anti-NPD Demonstration
Sonnenplatz
1969


Nahezu 60 Schüler und Schülerinnen – vornehmlich des Matthias-Grünewald-Gymnasiums - zeigten im September 1969 erstmals apo-mäßige Aktionen in der tauberfränkischen Kleinstadt. Lehrer versuchten noch gegen die Demo einzuwirken. Ungefährlich war die Demonstration gegen den NPD-Vorsitzenden Adolf von Thadden nicht. War der NPD-Ordnungsdienst für rücksichtslosen Einsatz gegenüber Demonstranten bekannt, hatte ein „Ordner“ der NPD in Kassel auf demonstrierende Schüler geschossen! Es war auch eine Demonstration gegen die zunehmende Wirkung der NPD im tauberfränkischen Hinterland. Die NPD war in den Landtag von Baden-Württemberg eingezogen. Adolf von Thadden erschien nicht in Tauberbischofsheim. Dafür wirkte auf dem Sonnenplatz erregend neu der antiautoritäre Geist in dieser Kleinstadt. Anschließend zogen noch einige Teilnehmer spontan zum Geschäftshaus eines Tauberbischofsheimers, der für die NPD kandidierte und äußerten dort ihren Unmut.






Numerus-Clausus Schülerstreik am
Matthias-Grünewald-Gymnasium
1970


Die ersten Jahre der Studentenrevolte und der antiautoritären Bewegung gingen am Tauberbischofsheimer Gymnasium fast unbemerkt vorüber. In anderen Schulen, wie z. B. im Nachbargymnasium Wertheim waren durch die politischen Aktivitäten eines großen Teils der Schüler autoritäre Strukturen bereits angegriffen. Im Matthias-Grünewald-Gymnasium dagegen betätigten sich nur wenige, vereinzelte Schüler politisch. So war denn auch bis zum Streik im Frühjahr 1970 eine von Abiturienten durchgeführte Demonstration mit Dutschke-Bild im Schulhof das einzige Ereignis, das die ruhige Schulroutine unterbrach.


Der oft erdrückenden Unterrichtssituation wussten die Schüler nur altbekannte Schülerstreiche entgegen zu setzen, die schulische Realität als solche wurde anscheinend von den meisten als ärgerlich aber unveränderbar angesehen. Um so erstaunlicher scheint es bei dieser Vorgeschichte, dass die Schüler in der Lage waren, einen Streik mit offensichtlich politischer Perspektive zu organisieren, einen Streik, der zudem noch nicht einmal das aktuelle Schülerdasein betraf, sondern der gegen die Einführung des Numerus Clausus an den Universitäten gerichtet war.


Der Streik war von den Jusos landesweit ausgerufen worden. Drei Tage sollten die die Gymnasien des Landes gegen die Zulassungssperren an den Hochschulen streiken. Die Zulassungssperren wurden als eine erste ernsthafte Einschränkung der verfassungsmäßig garantierten Freiheit der Berufswahl bekämpft, die allerdings angesichts der heutigen Praxis von Berufsverboten nur als Anfang der Zersetzung dieses Bürgerrechts angesehen werden kann.


Der Aufruf zum Streik ging auch bei der Tauberbischofsheimer SMV ein, löste zunächst jedoch nur einige Diskussionen unter den Schülern aus. Einen Streik hielten die meisten für nicht durchführbar. Den eigentlichen Anstoß lieferte ein einzelner Schüler, der während der Schulstunden handgeschriebene Zettel an die Klassenzimmertüren heftete, in denen er zum Streik aufrief. Auch das schien anfänglich nicht mehr als Aufsehen bei den Schülern zu erregen. Die Schulleitung jedoch versuchte in ihrem autoritären Machtanspruch solche geringe Anzeichen von Auflehnung schon im Keime zu ersticken. In einer Schulversammlung, die auf den Tag vor Beginn des landesweiten Streiks angesetzt wurde, sollte der Vorfall bereinigt werden. Jetzt erst wurde eine ganze Gruppe von Schülern aktiv, um den Streik doch noch durchzusetzen. Die meisten Schüler waren bis zur Schulversammlung schon von den Absichten dieser Schülergruppe informiert. Auf der Versammlung verlas ein unbeteiligter, notenmäßig nicht gefährdeter Schüler eine Resolution dieser Schülergruppe, in der die Abstimmung über den Streik gefordert wurde.


Nur wenige Schüler nahmen in den nächsten zwei Tagen (nach zwei Tagen wurde der Streik beendet) an den Unterrichtsstunden teil. Die meisten erschienen jedoch trotzdem und diskutierten über die Hintergründe des Streiks. In diesen Diskussionen zeigte sich ein vorher nicht für möglich gehaltenes Interesse der Schüler für politische Vorgänge und für Verbesserung der Schulsituation.
So zufällig die Durchführung des Streiks am Matthias-Grünewald-Gymnasium war, so wenig organisiert die Schüler in Tauberbischofsheim auch waren, für die Schulleitung und die Landesregierung war dieser im ganzen Land durchgeführte Streik (in unserer Gegend streikten außerdem noch das Gymnasium Mergentheim und Wertheim und das Wirtschaftsgymnasium Wertheim) wohl ein ziemlicher Schock. Der sicher geglaubte ort politischer Indoktrination des akademischen Nachwuchses schien ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie zuvor die Universitäten. Mehrere Landtagsabgeordnete (einer davon kam dann tatsächlich) kündigten sich zu einer weiteren Schulversammlung an. Die Schülermitverwaltung bekam plötzlich das Recht eine neue Verfassung der SMV selbst zu konzipieren, deren wesentlicher Teil, nämlich der über Rechte und Pflichten später dann doch nicht genehmigt wurde. Es wurde also alles getan, um den Protest der Schüler ins Leere laufen zu lassen. Neun Jahre danach kann klar erkannt werden, dass dies der Landesregierung tatsächlich gelungen ist. Aus diesem Streik kann heute höchstens noch gelernt werden.
Zum einen ist wohl ein Streik an Schulen offensichtlich ein geeignetes Machtmittel zur Durchsetzung von Schülerinteressen, anders lässt sich die Aufregung der Schulleitung nach dem Streik nicht erklären. Zum zweiten wird jedoch auch klar, dass ohne Organisation der Schüler berechtigte Interessen der Schüler kaum über einen längeren Zeitraum hinweg durchgesetzt werden können. Zu leicht können sonst mit nie eingehaltenen Versprechungen die wenigen aktiven Schüler hingehalten werden, bis sie irgendwann die Schule verlassen haben. Die, die nach ihnen kommen, müssen wieder bei Null anfangen.


Aus: Roter Spuk TBB 1970. Numerus-Clausus-Schülerstreik am Grünewald-Gymnasium. In: Traum-a-land – Provinzzeitung für Franken-Hohenlohe. Schwerpunkt: Die politische Geschichte unserer Region. Streiflichter aus der Provinz 1969-1979. Nr. 8, Juli 1979, S. 18/19





PAO
Politischer Arbeitskreis Oberstufe
am
Matthias-Grünewald-Gymnasium
1971

Das Namenskürzel PAO verdeutlicht die geistige Verwandtschaft, den politischen Bezug. Hier verbirgt sich die Tauberbischofsheimer APO, vertreten durch Schüler der Oberstufe. Auch am Wertheimer Gymnasium bildete sich noch vor den USI-Jahren ab 1969 ein politischer Arbeitskreis, der das Kürzel APO etwas umgestellt übernahm. Natürlich kein Vergleich zur studentisch dominierten APO der BRD. Die Tauberbischofsheimer PAO blieb auf das Gymnasium beschränkt, zeigt aber die Manifestation von Unzufriedenheit mit den Zuständen am Gymnasium:

„Wenn Sie mit Ihrem Schülerlos zufrieden sind, wenn Sie glauben, in der Schule immer gerecht behandelt und benotet zu werden, wenn Sie der Meinung sind, unser Schulsystem sei nicht verbesserungsbedürftig, dann können Sie hier aufhören zu lesen. Wir wollen Ihnen nämlich hier unter dieser Rubrik über Ereignisse berichten, die zu beanstanden und zu kritisieren sind. Darüber hinaus wollen wir Sie zu Aktionen gegen diese Geschehnisse mobilisieren.

Zum heutigen Fall: An unserem Gymnasium sollte für die Oberstufe eine Veranstaltung über die Bundeswehr und allgemein über Fragen des Kriegsdienstes stattfinden. Ein Jugendoffizier des Bundeswehr wurde zu diesem Zweck eingeladen. Es wäre nun recht und billig gewesen, als Vertreter der Gegenseite ein Kriegsdienstverweigerer einzuladen. Doch Herr Oberstud.Dir. Bischof hatte ein treffendes Gegenargument: Ein Erlaß vom Kultusministerium, nach dem ein Kriegsdienstverweigerer zu der Veranstaltung nicht zugelassen werden konnte (nach Interpretation). Wir fordern Sie daher auf, wehren Sie sich gegen eine derartige Zensur. Dieser Erlaß verstößt gegen das Grundgesetz. Da wir ja in einer viel gerühmten Demokratie leben, haben wir das Recht, uns frei und unzensiert zu informieren. Wir verlangen mit allem Nachdruck diese Veranstaltung. Unterstützt uns dabei. Tuen Sie sich mit der SMV, dem PAO oder den Redakteuren zusammen, um Gegenmaßnahmen zu beraten. Machen Sie eine Unterschriftensammlung oder eine Gegenveranstaltung mit Bundeswehroffizier und Kriegsdienstverweigerer zum Beispiel.

PAO
(Politischer Arbeitskreis Oberstufe)

Aus: Info. In: Schluckauf 1, Juli 1971 Schülerzeitung des Matthias-Grünewald-Gymnasiums Tauberbischofsheim, Seite 40/41




Das Thema Kriegsdienstverweigerung war auch in den weiteren Jahren immer wieder Konfliktstoff an den Tauberbischofsheimer Schulen. Ab 1978 bildete sich ein regelmäßiger Arbeitskreis zur Kriegsdienstverweigerung, zur Friedensarbeit.

Die Ausgabe 1 von Schluckauf beweist in mehreren Artikeln den damaligen Unruhegeist unter einigen Schülern, die sich allerdings ob ihres Minderheitenstatus bewusst waren: „Immerhin ist es ein Trost für den Herrn Direktor, dass unsere Oberstufe doch nicht in dem Grade von links unterwandert ist, wie es bei anderen Gymnasien der Fall sein soll …“ (Aus: Rechtsblind? In: Schluckauf 1, Juli 1971 Schülerzeitung des Matthias-Grünewald-Gymnasiums Tauberbischofsheim, Seite 29/30) Ein weiteres Beispiel: „Etwas bedauerlich ist für mich die Tatsache, dass es an unserer Schule nicht mehr Kriegsdienstverweigerer gibt. – Warum eigentlich?“ (Aus: Kriegsdienst Verweigerung. In: Schluckauf 1, Juli 1971 Schülerzeitung des Matthias-Grünewald-Gymnasiums Tauberbischofsheim, Seite 38/39)

Groß gefeiert wurde der Sieg von drei Schülern des Matthias-Grünewald-Gymnasiums in einem Wettstreit durch Bürgermeister, Stadträte und dem Lehrkörper. Präsente an die teilnehmenden Schüler wurden gereicht. Das stand unter politischem Verdacht: „Wozu ein solch Spektakel? Man kann nicht umhin, in dem ganzen Fall ein weiteres Ablenkungsmanöver zu vermuten, durch das die Aufmerksamkeit von der kaum noch zu kaschierenden Bildungsmisere in unserer Anstalt abgewendet werden soll. Evtl. Schüleraktivitäten sollen in harmlosere Bahnen gelenkt und dadurch entschärft werden.“ (Aus: Nachlese. In: Schluckauf 1, Juli 1971 Schülerzeitung des Matthias-Grünewald-Gymnasiums Tauberbischofsheim, Seite 34)

Auf geäußerte Kritik wurde damals hart reagiert. Auch im Konvikt, dem Erzbischöflichen Studienheim als vorübergehenden Lebens- und Arbeitsort vieler katholischer Schüler aus der näheren und weiteren Region. Kritische Schüler mussten das Konvikt verlassen, da sie ohne Erlaubnis das Studienheim verlassen und auch wieder betreten hatten, zudem eine Andacht geschwänzt hatten: „Beide wussten: Diese nächtliche Aktion war nur letzter Anlaß gewesen, um zwei Kritiker des Hauses loszuwerden. Für sie bedeutete dieses Ableben nicht den Tod, sondern Erlösung und Befreiung von Konflikten, die sie teils mit der Ordnung und dem Vorsteher ausgetragen hatten, zum größeren Teil aber Erlösung von aufgezwungener Heuchelei. Sie fühlten sich ihrem Gewissen mehr verpflichtet als autoritärem Zwang.“ Die beiden Schüler „waren die profiliertesten Kritiker im Studienheim, die keine Mühe scheuten, um sich mit den Zuständen und den Vorstehern (soweit dies möglich war. Meist wurde ihre Kritik in wilden Wut- und Tobsuchtsausbrüchen der Vorsteher erstickt) auseinander zusetzen. …

Mit dem Abgang der beiden Schüler verliert die Schülerschaft ihre stärksten Vertreter in den Auseinandersetzungen mit den Vorstehern. … Sind auch die revolutionären Verbesserungsvorschläge für viele nicht realisierbar, so vertraten diese beiden mit Mut ihre Überzeugung. Dazu der Schulsprecher: Was den Schülern und dem ganzen Haus jetzt noch nutzt, ist eine Revolutionierung der Zustände nach pädagogischen Gesichtspunkten, nicht die Revolution in autoritärer Abhängigkeit. Betrachtet man einmal die sogenannten Erzieher, so wird man schnell feststellen, und das Ordinariat in Freiburg wird das bestätigen, dass diese ‚Erzieher’ doch immerhin ein abgeschlossenes Theologiestudium haben. Daß diese Vorbildung in keiner Weise für eine Erziehungsaufgabe ausreicht, dürfte jedem klar geworden sein. Für einen großen Teil der Schüler ist es nicht möglich in diesem Heim ‚ehrlich’ zu leben. – Schade! Daran können nur die Schüler selbst etwas ändern, und ich möchte sie dazu auffordern.“ (Aus: Der Rausschmiss. In: Schluckauf 1, Juli 1971 Schülerzeitung des Matthias-Grünewald-Gymnasiums Tauberbischofsheim, Seite 26-28)

Der antiautoritäre Geist hatte Grünewald-Gymnasium und Konvikt erreicht, konnte allerdings auf direktem Wege nicht viel bewirken. Das, was heute als bürgerschaftliches Engagement gesucht und gelobt wird, wurde gern im Keim erstickt. Ein Nichtaufgreifen gesellschaftlicher Impulse führt allerdings durchaus zur Selbstisolation, zur inneren Aushöhlung. Ein wichtiges Institut der Tauberbischofsheimer Kultur, das Konvikt, war damals ohne es zu ahnen, am Anfang seines Endes angelangt. Der ans alte Konviktgebäude angeschlossene Neubau demonstrierte nur äußerliche Modernität. Die innere Modernisierung blieb aus. Das Knabenkonvikt lag in seinen letzten Zügen. Ein späterer Umbau zu einem Bildungshaus hatte keinen langen Bestand.




Politischer Arbeitskreis TBB

Nach dem Aus- und Verlaufen der antiautoritären Schülerbewegung gab es einen Versuch, politisches Engagement auch außerhalb der Schule zu initiieren:

„Politik kann auch Spass machen … wenn sie nicht einseitig vorprogrammiert ist, sondern sich am öffentlichen Interesse orientiert (Politik: lat. Res publica – öffentliche Sache / Interesse).
Politik ist nicht nur für Politiker, sondern für alle da, lautet unser Grundsatz, den wir mit Hilfe unserer Gruppe zu verwirklichen suchen.

Auch Du hast sicher Probleme, die Du alleine nicht lösen kannst: eine Gruppe kann Dir dabei helfen, denn: Einen Finger kann man brechen, fünf Finger geben eine Faust.
Die Gruppe ist nicht nur für Dich ein Gewinn, sondern Du auch für die Gruppe. Erst in ihr wirst Du erkennen, dass Du kein Einzelfall bist, sondern, dass es noch andere mit gleichen Problemen gibt.
Probleme haben Ursachen. Wir sehen die Ursachen in politischen und wirtschaftlichen Struktur! Wenn Du gleicher Meinung bist oder mehr darüber erfahren willst, schließ Dich unserer Gruppe an.
POLITISCHER ARBEITSKREIS TBB
Treffen im Ev. Gemeindezentrum Würzburgerstr.“
Ca. 1973/74



Schülerarbeitskreis / Marion Bentin
am
Matthias-Grünewald-Gymnasium
1977

Im Herbst 1977 versetzte der Fall der Lehrerin Bentin die ehrbare Honoratiorenschaft der Tauberbischofsheimer Oberschicht in hellste Aufregung und erregte Aktivität, wie sie dieses Provinzstädtchen bisher selten erlebt hat. Mit dem schon von illustren CDU-Elternkreisen während der Schülerrevolte oft benutzten Lockruf „Wehret den Anfängen“ sammelte sich die auf die rechte Palme gebrachte CDU-Truppe und zog gerüstet in den Kampf, um die Harmonie des sonstigen Schulfriedens (nicht für die Schule – für das Leben lernen wir) und der üblichen Schulfestreden (Bla Bla Bla) in Tauberbischofsheim eiligst wiederherzustellen.

Schließlich könnte eine unbequeme Stimme, die kritisch und aufklärend wirken würde, in einer Instanz, die den Erziehungsauftrag hat, „das Menschen sich gefallen lassen, was man nachher mit ihnen anstellt; denn kein Mensch krümmt sich beizeiten, da keine ein Häkchen werden will“ (Ernst Bloch) allzu leicht am Bärendreck der bürgerlichen Schulideologie von sozialem Aufstieg und entsprechender Leistungsmotivation kratzen und ketzerische Fragen aufwerfen. Und es sah so aus, als würde am Gymnasium und anderen Schulen ein ständig wachsender Unruheherd entstehen.
Aufgehängt wurde der massive Rollbackversuch an der Mitgliedschaft Marion Bentins im KBW, was in der kleinstädtischen Welt der Stammtisch- und Vetterliswirtschaft, die sowieso jeden, der nicht in das gleichmachende Bild der Biertischsprüche und des gegenseitigen auf die Schulterklopfens passt, automatisch zu Außenseitern stempelt, von vornherein Stein des Anstoßes und Grund zu emotionsgeladener Hetze ohne Differenzierungsmöglichkeit war. So wurde beispielsweise vor einigen Jahren ein Religionslehrer zum Angriffspunkt der geschäftstüchtigen Honoratiorenschaft, der im Unterricht beim Thema Militarismus Kriegsdienstverweigerer zu Worte kommen lassen wollte und auch noch statt Baader-Meinhof-Bande Baader-Meinhof-Gruppe sagte, und deshalb die wohlbetuchten Sprösslinge auf gefährlichste Abwege hätte bringen können.

Unterstützt wurde das Ganz von einem lokalem Chefredakteur der meistgelesenen Zeitung im badischen Frankenland, der kräftig ins Horn blies und mit diversen Enttarnungskünsten über den KBW aufmerksam machte, ohne jedoch auf die teilweise konkreten Gedanken Bentins überhaupt einzugehen. Die hervorzuhebendste Gesamtleistung seiner journalistischen Sorgfaltspflicht und Ausgewogenheit war es, die positiven Leserbriefe bis auf eine Ausnahme nicht zu veröffentlichen, da diese den kleinstädtischen Frieden noch mehr gestört hätten.
Was war so Schreckliches geschehen? Marion Bentin weigerte sich in ihren Klassen die Noten fünf und sechs zu verteilen, diskutierte in ihren Klassen während des Unterrichts über Leistungsdruck und der Konkurrenzsituation der Schüler untereinander, lud Eltern zu einem eigenen Elternabend ein, unterstützte einen Schülerarbeitskreis, verteilte Flugblätter, unterhielt sich in der Fußgänger mit Bürgern der Stadt.

Waren diese Aktivitäten anfangs bei vielen Schülern aber auch Lehrern auf Zustimmung gestoßen (endlich mal was los), so zeigt es sich doch leider, dass die Auseinandersetzung mit dem Notensystem für Marion Bentin allein auf Rekrutierungs- und Profilierungsabsichten für den KBW abzielte, was es natürlich Schulvorstand und CDU-Eltern leicht machte, die Auseinandersetzung auf die Person Bentins und ihrer KBW-Mitgliedschaft festzunageln und von der Problematisierung und Infragestellung des herrschenden Leistungs- und Konkurrenzdenkens abzulenken. Deshalb blieb auch der Kreis der ansprechbaren Schüler ziemlich klein und selbst die Schüler des Arbeitskreises standen in kritischer Distanz zu Marion Bentin, die immer dogmatischer auf die ihr vorgegebene KBW-Linie abfuhr und dann vorschriftsmäßig nach KBW-Methodik vorging (auch in der Auseinandersetzung um die Teststrecke sind ihre wiederkehrenden Sprüche inzwischen sattsam bekannt).

Ziel Marion Bentins war es mehr oder weniger, ihre Entlassung aus dem Schuldienst zu provozieren, um dadurch den Schülern den Repressionscharakter des Staates aufzuzeigen. Dies entspricht der typischen leninistischen Entlarvungstheorie: statt Erfolgserlebnisse, die einen stärken und weiterbringen, sich permanente Frustrationserfahrungen einholen. Dass durch solche sinn- und perspektivlose Aktivitäten langfristigere, wirksamere Lernprozesse verhindert werden, scheint den KBW-Strategen nicht einleuchten zu wollen. Als Marion Bentin aus dem Schuldienst entlassen wurde, war wegen der extremen Polarisierung und Isolierung keine Solidarität mehr mit ihr möglich. Man muß es deutlich sehen: Marion Bentin war das bewusst gewollte Opfer der KBW-Strategie.

Aus: Die KBWehliche Stimme Heilbronns und die schweren Jungs von der CeDeUh. Der Fall Bentins in TBB. In: Traum-a-land – Provinzzeitung für Franken-Hohenlohe. Schwerpunkt: Die politische Geschichte unserer Region. Streiflichter aus der Provinz 1969-1979. Nr. 8, Juli 1979, S. 16/17

HINWEIS: KBW = Kommunistischer Bund Westdeutschland, maoistisch orientierte Gruppierung, die im badischen Frankenland geringsten Anhang fand, aber durch Pseudopräsenz weniger Aktivisten einige Jahre lang in den 70er Jahren durchaus nervend auftrat.