Josef Dürr: Schlehe un Hasselnüss’. G’schichtli un Gedichtli aus’m Taubergrund. Herausgegeben von Otto Heilig. Camburg (Saale) 1919. (2. Auflage 1951). Weitere erweiterte Ausgabe seit 1967 mit verändertem Titel: Schleh' unn Hoasselnüss'. Gedichtli, G'schichtli unn Bildli aus'm Dauwergruund. Frankonia Buch - Fränkische Nachrichten, Tauberbischofsheim 2001
Josef Dürr ist der mundartliche Dichter und Abbilder des Taubertales, besonders des Tauberbischofsheimer Dialekts. Viele der in Dürrs Gedichten auftauchenden Namen, Wörter und Begriffe werden längst nicht mehr verwandt, da die sie begründende ackerbürgerliche Lebensweise einer Kleinstadt nicht mehr existiert, entsprechende Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt werden. Josef Dürrs Mundart dokumentiert die Tauberfränkische Mundart um 1900 herum, die auch durch die Arbeiten von Otto Heilig mit „Wörterbuch“ und "Grammatik der ostfränkischen Mundart des Taubergrundes und der Nachbargemeinden" 1894 und 1898 wichtige Manifestationen mundartlicher Aussprachen erhielt.
Josef Dürrs Gedichte leben vom Sprachklang, Sprachwitz, vom Humor der kleinen Leute in den ärmlichen Seitengassen. Kleinbürgerlichkeit, Kleinbäuerlichkeit, das einfache Häckerleben in seiner Armut und im Zug zum Weingenuß sammelt sich in seinen wunderschönen Zeilen und Versen. Großbürgerliche Lebensart, die jüdische Lebensweise in der Kleinstadt werden nicht erwähnt, Klassenkämpferisches findet keinen Eingang ins Versmaß. Privates, genauer Familiäres trifft Josef Dürr im Bekenntnis erfolglos der Lies noch g’sprunge zu sein, d. h. wenn sich in der Dürrschen Jugendliebe die Oma des Verfassers dieser Zeilen, in der armen Gasse, heute Frauenstraße, fast gegenüber dem Herkunftshaus von Josef Dürr, wohnend, widerspiegelt. Das heutzutage nicht mehr annehmbare Soldatische hat sich in einige der Gedichte eingeschmuggelt und spiegelt den Pathos des 1. Weltkrieges wieder, auch mit einem Hinweis auf das Kriegsgefangenenlager auf dem Tauberbischofsheimer Büchelberg, indem russische Gefangene bei schlechten Bedingungen interniert waren. 1917 beendete der Soldatentod das mundartliche Schaffen Josef Dürrs. Einige der pathetischen Kriegergedichte Dürrs, schon im 1967 publizierten Band nur noch beispielsweise aufgeführt, ohne jeglichen mundartlichen Glanz, sind wohltuenderweise aus dieser Edition sang- und klanglos herausgefallen. In der ersten Auflage von 1919, von Otto Heilig besorgt, gehören die ersten Seiten noch vollständig dem Kriegstreiben, mundartlich verdichtet, eine Kriegserklärung des Taubertals an die restliche Welt inbegriffen: „Deutschland hilt z’samme wie aan Moo, \ Un’s ‚ Hinnerland’ ist vornedro: \ Miir weise euch, wie fest un g’suund \ Wechst Prüchelhoulz im Dauwergrund! \ Druff, druff! Der ganze Welt gezeicht, \ Wie’s is, wenn uns die Galle steicht!“ Manche der soldatischen, mundartlichen Reime, wenn auch gut geformte, können angesichts des militärischen, sinnlosen Gemetzels des Kanonenfutters unerfahrener Soldaten nur erschrecken: „Bums-vallra! Im Feindesland \ Hocke mer im Unnerstand!“
Auch wenn man Josef Dürr naive Beschreibungen, oberflächliche Verklärungen eines einfachen Lebens auf dem Lande vorwerfen könnte, geht eine derartige Kritik an der Gedichtkunst von Josef Dürr vorbei. Auch heute noch begeistern die Gedichte Josef Dürrs über die "Künichshoufer Mess", über "s'Schlachtfest" oder "Kla(o)ner Ärrdumm", die im regionalen Gedächtnis verankert sind, die regionale Kultur in Sprachverse mundartlich verwoben haben. Dürr gelingen selbst bloße Begriffsreihungen zum reimenden Sprachgedicht. Verstehen kann die Gedichte Dürrs nur der, der selber noch tauberfränkisch mundartlich sprechen und hören kann. Ein Norddeutscher oder gar ein Schwabe bleibt hier eindeutig außen vor. Auch wenn die Gedichte Dürrs die Zeitgebundenheit an längst Vergangenes ausströmen, wer Dürr liest, der liest noch immer die tauberfränkische, speziell die tauberbischofsheimer Mundart: "Doch i-will kaon Zeit verliere, Alles äuch zu expliziere, Denn do hött'r nix drvoo: Guckt's äuch liwwer selwer oo!“
Josef Dürr wird für den Büschemerischen Heimatdichter gehalten. Das ist er auch. Fast. Denn er wurde es erst durch die oft drastischen Überarbeitungen in der 1967er Auflage. Die fünf Herausgeber haben kräftig zugelangt, das Nicht-Büschmerische an Josef Dürrs Dichtungen hinaus zu befördern. Ja. Josef Dürr war ein Büschemer. Ja. Er stammt aus der Frauenstraße. Also aus der Unterstadt von Büscheme. Dennoch. Aufgemerkt. Er dichtete mehr als Taubergründer. Denn als Büschemer. Er dichtete im erweiterten Dialekt. Erst die 1967er Auflage holte ihn nach Büscheme zurück. Wer Dürr liest, dem fällt auf, wie wenig er Büscheme in seinen Gedichten anführt. Lokale Bestimmungen angibt. Der grüne Baum. Das Fuhrmannsloch. Die Bischemer Eismänner. Viel öfter nennt er aber den Taubergrund, die Dauwergrünner. Königshofen. Mit seinem Mark(t). Ein vielfaches Dürr'sches Thema. Der Herausgeber der Erstausgabe von 1919, Otto Heilig, nennt Josef Dürr zwar als den Erstdichter des büschemerischen Heimatdialekts.
Aber Josef Dürr war mehr. Sonst hätte es den tief eingreifenden Überarbeitungen von Josef Dürrs Gedichten von 1967 nicht bedurft. Josef Dürr dichtete wohl auch im Heimatdialekt seiner Mutter. Diesen Hinweis verdanke ich einer mit der Büschemer Mundart sehr vertrauten Büschemerin, die bei meiner Wörtersamlung bemängelte, dass sich Zutaten aus den benachbarten Mundarten eingeschlichen haben. Da meine intensiv Dialekt sprechende Mutter aus Uissigheim stammte, ist das nicht von der Hand zu weisen.
Bei Dürr fällt das auf, wenn man die aa-Laute vernimmt. Da wo der Büschemer eher ao oder oa verlauten läßt. Die a-Linie ist Büscheme nahe. Trennt Großrinderfeld, Grünsfeld, den Gau von Büscheme. Ist in Büscheme ein Newel, ist dort ein Nawel. Die Herausgeber von 1967 haben die von Dürr überschrittene a-Linie in Josef Dürrs Werk versucht herauszuschneiden. Nicht vollständig gelungen bei genauer Beschau. Aber doch in hoher Anzahl. Eine Überarbeitung gerät meistens in Widersprüche. In Unvollkommenes.
Es gibt ja die Versuche, den Barock barocker zu machen, als er jeweils war. Die Rekonstrukteure entdecken eine Karte, wie ein barocker Garten hätte aussehen sollen. Und richten dann die heutige Realität danach um. Vergessen aber, dass der Plan nur ein Plan war und nie Realität. Dem Förscht war das Geld ausgegangen. Oder er hatte nicht das Geld, das geplante umzusetzen. So wurde der gewachsene Baumbestand im Weikersheimer Schlosspark versucht umzuwandeln in einen reinrassig barocken.
Dürr wurde also 1967 büschemerischer gemacht, als er jemals war. Er dichtete eher taubergründisch als büschemerisch. Mir war schon sehr lange klar, nachdem ich die Erstausgabe erstanden hatte und mit der von 1967 verglich, dass hier ein wesentlicher Unterschied bestand. Mir war aber lange nicht klar, worin der Unterschied lag. Da mußte mir erst die Augen geöffnet werden. Allerdings hatte ich da in meinem Versuch einer büschemerischen Wörtersammlung schon kräftig Büschemerisch und benachbartes Taubergründisch miteinander vermischt, obwohl ich das ja gerade trennen wollte.
Es wird hier nun versucht, den Dürr von 1919 wieder zugeben. Aber auch das gelingt nicht ohne weiteres. Die ersten Gedichte von Dürr geben hier den 1. Weltkrieg wieder. Dürr nutzt den heimischen Dialekt, Kriegsereignisse, seine Einschätzungen des Krieges wieder zu geben. Die sind aus der heutigen Sicht schwierig anzunehmen. Diese Kriegs- und Militärzeitgedichte sind in der Zeit vor 1917 entstanden. Manche kurz vor seinem gewaltsamen Tod. Der in Spurlosigkeit endete, da der Granateneinschlag keine Reste von seinem Körper übrig ließen. Die Kriegsgedichte werden hier nach hinten verbannt, obwohl sie in der Erstveröffentlichung am Anfang standen. Sie werden auch nur deshalb aufgenommen, weil sie sprachlich lokales bieten. Josef Dürr war leider bis 1917 auch ein Kriegsdichter. Auch wenn er die äußere Verwahrlosung der Soldaten im Unterstand thematisierte, also die Verlausung, die Verwahrlosung der Kleidung. Die innere, seelische Situation, der humane Blick auf die andere Seite blieb ausgespart. Er hoffte noch auf den Endsieg - um ein späteres Wort aufzunehmen - auch wenn sich die Niederlage schon abzeichnete.
Die Dürrschen Gedichte mußte ich abtippen, da die Scanner bei der mundartlichen Schreibweise sehr versagten. Beim Abtippen schleichen sich Fehler sein. Diese Korrektur dauert lange. Und steht noch an. Ebenso die Vollständigkeit der erläuternden Anmerkungen. Ich nehme mir die Freiheit, ein noch nicht fertiges Produkt einzustellen. An dem ich noch einige Zeit zu arbeiten habe.
Kleine Illustration der Unterschiede in der Auflage von 1919 (19) und 1967 (67):
19: Zu Naacht war 'gässe, aanfoch, g'suund un gut
67: Zu Noacht woar gässe, aa(n)foch, g'suund unn gut
19: Nit gaar sou hortli' uff die Scheiwe kumme
67: Nid goar sou hordli uff di Scheiwe kumme
19: Dann war for uns 'es schönste Stünnle do
67: Dann woar for uns-ess schönnste Stünnle doo
19: "Kin" hot sie g'saacht, do knebbert beißt un knackt
67: "Kinn" hott-si g'soacht, "do knäbberd, beissd unn knackt
19: A klaani Ärbt, wu baßt for's Lambeliicht
67: A kla(o)ni Ärbd, wuu baßt for's Lambe-Liichd
19: Der Vadder hot mit'm Werkzeuch 'rümhandiert
67: Dr Voadder hott mi'm Wärkzäuch rümmhandierd
19: Gar mannichs hämmer g'hört von frühr'er Zeit
67: Goar mannichs hämmer k'hört vonn frührer Zeit
19: Un wünsch gaar oft, i hör als klaaner Bu'
67: Unn wünsch goar oft, i-hör als kla(o)ner Buu
Durchaus massiv wurden die Gedichte von Josef Dürr in der Überarbeitung von 1967 verändert. Auffällig sind die Lautveränderungen von "aa" zu "oa" wie bei g'saacht zu g'soacht, wie bei gaar zu goar, von "a" zu "oa" wie bei Vadder zu Voadder. Hier folgen dieser Betonungsänderung auch Worte, die Dürr in Hochdeutsch ließ: war wird zu woar. Lang gezogene Endvokale werden mit Verdoppelung des Vokals betont: do wird doo, Bu wird Buu, wu zu wuu. Auch länger betonte Konsonanten werden durch Verdopplung gekennzeichnet: schönste wird schönnste. Wird im Büschemerischen ein g eher wie ein k ausgesprochen, findet das ein geänderte Schreibform: g'hört wird zu k'hört. Eher rätselhaft, willkürlich, unnötig bleiben viele Änderungen wie Lambeliicht zu Lambe-Liichd.
Die Herausgeber und Überarbeiter von 1967 geben ihre Motive für die sprachliche Eingriffe als Modernisierung aus: "Um die Schreibweise und das Schriftbild der ersten Ausgabe auf die Gegebenheiten der heutigen Drucktechnik abzustellen, war eine beinahe jedes Wort umfassende, langwierige und bisweilen auch mutige Umarbeitung erforderlich. Mit Rücksicht auf die große Zahl der neu in unsere Stadt gekommenen Bürger mußte eine bessere Lesbarkeit erreicht werden, ohne daß die einheimische Mundart darunter litt." Warum aber die heutige Drucktechnik als Argument herhalten muss, ist fraglich. Schließlich wurde schon in der 2. Auflage von 1951 das uneinheitliche Schriftbild mit kleinerer Schrift bei nicht konkret ausgesprochenen Buchstaben oder in größerer fetter Schrift bei längerer Betonung verändert. Ebenso die Einschübe von Fußnotenziffern, die die Lesbarkeit störten. Das Argument der Erfordernisse heutiger Drucktechnik scheint als eher vorgeschoben als notwendig. Die Herausgeber kannten die 1951er Auflage, denn sie folgten der dort vorgenommenen Änderung der Worterklärungen. Statt numerischer Fußnoten alphabetische Rangfolge. Kannten also auch die schon vollzogenen Änderungen der Schreibform. Weshalb also muss dann noch das Schriftbild der ersten Ausgabe herhalten, wenn es schon längst in der zweiten Ausgabe an heutige Drucktechnik angepasst war? Nachvollziehbarer sind Änderungen der Schreibweise von Vadder zu Voadder. Das folgt den Sprachbefunden Otto Heiligs, dass der kurze Vokal des mittelhochdeutschen a sich bei Vater mundartlich verändert zu oa. Warum aber dichtete Josef Dürr hier nicht der Büschemer Mundart folgend? Und auch an vielen anderen Stellen?
Otto Heilig hatte schon bei seinen büschemerischen Sprachforschungen bei manchen Worten Unterschiede in der Aussprache der alten und jüngeren Büschemer festgestellt. Zwischen der Kernstadt und der (westlichen) Vorstadt, die sich schon im Mittelalter herausbildete gab es sprachliche Unterschiede. In der Voorschd wohnten vielfach Zugezogene, Saisonarbeiter. Auch zwischen Oberstadt und Unterstadt sollen feine Unterschiede bestanden haben. In der Sprache. Büscheme wandelte sich nach 1800. Es nahm immer mehr Amtsfunktionen auf. Das Schulwesen entwickelte sich. Differenzierte sich. Mit Zuzug ortsfremder Beamtenfamilien. Mit Zuzug ortsfremder Lehrer. Auch die Entwicklung von Bahn, Post, Banken förderte den Zuzug nicht-einheimischer Bevölkerungsteile. Ins Büschemerische zogen Worte aus dem lateinischen, aus dem französischen und Hebräischen ein. Durch Heirat vermischte sich das Büschemerische mit den stark verwandten, aber in vielen Nuancen unterschiedlichen Dialekten der direkt benachbarten Dörfern. Nach 1945 kam es zunächst durch die Flüchtlinge zu neuen Spracheinschüben, neue Idiome erklangen im Alltag. Neue Stadtviertel entstanden, in denen die Büschemer eher in der Minderheit waren. In den Viertel mit Einfamilienhäusern finden sich viele Familien, bei denen die Väter und Mütter aus der näheren Umgebung stammen, aus beruflichen Gründen nach Tauberbischofsheim gezogen sind. Nach 1945 wandelte sich die ackerbürgerliche Grundlage Büschemes. Industrie, Gewerbe, Handel benötigen Arbeitskräfte. Dem büschemerischen Dialekt wurde damit eine wichtige Basis entzogen. Viele büschemerische Worte bezogen sich auf landwirtschaftliche, handwerkliche Tätigkeiten. Oder auf die häusliche Lebensmittelproduktion mit Hausgarten, Streuobstwiesen. Supermärkte machten der büschemerischen Subsistenzwirtschaft ein Ende. Auch hieraus entstammt ein Verlust des Büschemerischens, wenn viele Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt werden, wenn gewisse Zustände nicht mehr aus bäuerlicher Sicht beschrieben, bezeichnet werden. Heute muss man den Acker nicht mehr draiere, also zum dritten Mal wegen den Ackerunkräutern umhacken. Dank Zahnspangen gibt es keine unschönen Dseraffeln mehr, wie wir sie seit der Kindheit tragen. Dank politischer Correctness sprich keiner mehr von Dsichainern. Oder wirft Judepförz. Ebensowenig benennt man einen von Wachstum nicht besonders Bevorzugten als Dswugel.