In den letzten Jahren haben mir einige Büschemer ihre Büschemer Gschichdli erzählt. Ich hatte dann den Gedanken, ob es nicht sinnvoll wäre, solche Büschemer Gschichdli zu sammeln, da sie eine besondere Einmaligkeit besitzen und es wert wären, erhalten zu bleiben. Alfred Neugebauer hat mir ein kleines Gschichdli zur Tante Sofie zugesandt. Ihr Nachname war Wohlfahrt. Allerdings nicht mit mir verwandt. Aber Werbach spielt da sicher als großes Herkunftsnest von Wohlfart / Wohlfahrt / Wohlfarth und ähnliche Schreibweisen eine Rolle. Gern werden noch weitere Büschemer G'schichdli hier aufgenommen.
Alfred Neugebauer
Tante Sofie
Zu meiner Person: mein Name ist Alfred Neugebauer, „uff die Welt kumme“ am 04.04.1953 in Büscheme. Aufgewachsen in der „Ünnerstoad“, und zwar in der Badgasse 2, in einem winzigen Häuschen zwischen der Bocks Mina (Haus Nr. 1) und der Auto-Garage (Reparaturwerkstätte) vom Weihrauch.
Hier nun etwas zur Wolferts-Sofie: Sie hieß eigentlich Sofie Wohlfahrt, also ohne das „h“ am Ende. Ob sie dennoch mit dir verwandt sein könnte, entzieht sich meiner Kenntnis. Sie war geb. am 07.02.1890 in Büscheme und verstarb am 09.04.1963 daselbst infolge eines Unfalls.
Wir nannten sie „Tante Sofie“, obwohl sie keine Tante war, sondern ihre Mutter, Mathilde, war eine Schwester meines Urgroßvaters Heinrich Anton Alter in Uissigheim (*1849, + 1931). Mathilde Wohlfahrt, geb. Alter erblickte das Licht der Welt 1856, wann sie verstorben ist, weiß ich heute nicht mehr.
Ob Sofie Wohlfahrt mit dir verwandt war, kann ich nicht sagen. Vielleicht weiter zurück, da du dich ja mit „th“ schreibst, sie aber nur mit „t“.
Auf ihrem Sterbebildchen steht folgender Text:
Fromm und gut war stets dein Leben
Ruft dir, wer dich kannte zu;
Immer deinem Gott ergeben
Gingst du ein zur sel’gen Ruh;
Ach versengt in bangen Schmerzen
Schiedest du von uns zu früh
Doch du lebst in unsren Herzen,
Und vergessen wirst du nie.
Vater Unser. Ave Maria.
Der Name Wohlfahrt kommt vom germanischen Namen Wolfhard. So gab es in Würzburg vor den Zerstörungen des II. Weltkriegs den Hof Wolfhard, auch die Wolfhards Gasse. Ich verweise zu meinen Ausführungen bei Architectura pro Homine unter Würzburg in alten Bildern.
Eigentlich kannten wir Kinder „Tante Sofie“ nur von den damals etwa ab 1957 oder 1958 kalten Winterabenden. Da kam die Sofie, wie meine Oma Luise Neugebauer geb. Alter (23.10.1888 bis 28.09.1975 (Lioba Tag) sie nannte. Meine Oma war eine Tochter von Heinrich Anton Alter, also waren Sofie und Luise eigentlich Basen oder Cousinen.
Sofie war sehr arm. Sie besaß nur ein altes Häuslein, aber 3 Stock hoch, an der Ecke der Klostergasse zur Eichstraße bzw. Dörgei. Sofie hatte zwei Kühe, die das schwere Fuhrwerk ziehen mussten, wenn sie aufs Feld fuhr. Deswegen gaben die Kühe aber auch nur wenig Milch. Aber Sofie hatte auch noch mehrere Ziegen, sog. „Gassli“, die zusammen mit den Kühen im Stall im Erdgeschoss standen. Zwar war ich nur wenige Male bei der „Tante Sofie“, aber es stank Gotts erbärmlich, besonders wegen des Mists der Geisen. Es gab eine Tür zur Eichstraße, genau gegenüber des Schmieds Heusinger. Dort lagerte ans Haus der Tante Sofie angelehnt, der Misthof. Den Mist samt der eigenen Hinterlassenschaften fuhr sie von Zeit zu Zeit als Dünger aus Feld. Da kehrte und schob sie den Mist raus. Vielleicht sollte ich es besser nicht erwähnen, aber Tante Sofie hatte kein WC, es gab nur einen Donnerbalken im Stall. Die wenigen Male die ich als Kind bei Tante Sofie war, kam ich wegen des pestilenzartigen Gestanks beinahe um. Das halbe Haus von Tante Sofie war Scheune.
Die Mutter von Tante Sofie war eine große, goldblonde Frau, wie ihr Bruder Heinrich Anton und meine Großmutter Luise. Oma hatte manches mal ihren Vater Heinrich Anton zitiert, der manches mal gesagt hatte.: „Dass S‘ Mathilde a sou en Pfetzer gheiert hot.“
Der Vater von Tante Sofie war „Straßenwart“ und verdiente nur sehr wenig, so dass die Familie davon kaum leben konnte. Sofie hatte noch einen Bruder, den Valentin, genannt „Valdin“. Dieser war Lehrer irgendwo im Badischen, den Ort habe ich vergessen. Sofie wählte mit Überzeugung die Centrumspartei, während ihr Bruder Valdin ein „Soz“ war. Da prallten Welten aufeinander. Wenn er zu Besuch kam, dauerte es kaum länger als 20 Minuten bis zum Wortgefecht.
Dennoch hing Sofie mit geschwisterlicher Liebe an, wie sie es sagte „meinem Valdin“ und schickte ihm zu jedem Weihnachtsfest und zum Geburtstag ein Päckchen, das sie sich vom Mund abgespart hatte.
Weil Tante Sofie so sparsam war, beehrte sie uns an den Winterabenden mit ihrem Besuch, aber niemals im Sommer. Dadurch konnte sie Brennmaterial sparen. Wir hatten damals auch noch keinen Fernsehapparat. So saßen wir in der Stube um den Tisch. Mutter machte Bratäpfel au dem Ofen, gab auch „Wejnachts-Gutsli“ raus. Dazu gab es Tee. Wir erzählten entweder „Gschpenster-Gschichtli“, manches mal sangen wir auch zu einer Adventsandacht und immer wieder spielten wir Karten, „Herz Skat“ oder „66“. Tante Sofie gewann oft und lachte sehr laut, dazu legte sie ihren Kopf mit dem schwarzen Haar und Mittelscheitel nebst „Nest“ ganz weit zurück. Oma sagte: „Sofie, du lachst wie en Gaul. Meine Oma rief beim Kartenspiel: „Eckstein-Blecksbein“ oder bei Herz Skat: „Herzlich lacht die Koralle“. Einmal war Tante Sofie beim Kartenspiel äußerst nervös. Sie rollte ihren Rock, der etwa bei der halben Wade war, beim Lachen hoch und plötzlich wurden die Spitzen der Unterhosen sichtbar. Mein Bruder Wolfgang konnte das Lachen kaum halten, während mir die weißen Spitzen sogar gefielen.
Tante Sofie hatte ein trauriges Ende gefunden. Am Tage vor dem Unglück zogen meine geliebte Oma und ich Tante Sofie noch wegen ihrer Arthritis rechts und links eingehenkelt die Pfarrgasse „nuff“. Dabei sagte meine Oma: „Sofie, du lejchst dich jo nej wie ein Aggergaul“. Am Tage darauf, es war im „Frühjohr“ brannte sie ein steiles Grundstück ab, was damals schon verboten war. Sofie trug einen langen Rock, wollte auf dem abgebrannten Grundstück noch etwas holen, der Wind frischte plötzlich auf, die Kleidung fing Flammen, Sofie stürzte und rollte als brennende Fackel den Hang hinunter. Dort muss sie im Straßengraben wohl mehr als 4 Stunden unter qualvollen Schmerzen gelegen haben, bis endlich ein Autofahrer hielt. Im alten Büschemer Spital in der Schmiederstraße lebte sie noch eine Woche unter großen Schmerzen, meinte gar, sie käme wieder heim, sie hätte noch 100 Gramm Worscht, das würde ihr die Woche „vollschder“ langen. Meine Oma und ich wollten sie im Spital besuchen, aber eine alte Büschemer „Batsche“ sagte zu meiner Oma: „S‘ darf koa Mensch zu ere nej“. So gingen wir wieder traurig heim. Später erfuhren wir, dass Angehörige sie hätten besuchen dürfen. Darüber grämte sich meine Oma lange Jahre, obwohl sie ja nichts dazu konnte, dass sie Sofie nicht mehr besuchen konnte.
Sie besaß sehr alte Bücher, manche davon in Schweinsleder gebunden, Jahrhunderte alt. Da ich der Einzige war, der sich dafür interessierte, sollte ich diese mal erben. Von einer Heiligenlegende hatte sie den ersten Band (Jan. bis Juni), meine Oma den zweiten Band (Juli bis Dez.). Eine Verwandte, wohl ein Patenkind, da diese auch Sofie hieß, hatte, als wir nach den alten Büchern fragten, erklärt: „Mär häwwe des ganze alde Glümb scho uff die Loamegrüwe gführt un ogebrennt, s is nix meh do.“ Zwar war ich erst 10 Jahre alt, aber ich war tief enttäuscht, dass man mich übergangen hatte.
Tante Sofie hatte oft uraltmodische Ansichten, so dass meine Oma öfters zu Sofie sagte: „Sofie, du bist jo aus em 13. Johrhunnert. Wobei das variieren konnte, mit „aus dem 12. Johrhunnert oder aus dem 14. Johrhunnert.“
Vielleicht zum Schluss noch eine Kleinigkeit:
Als 1963 meine jüngste Schwester Ursel auf die Welt kam, hatte sie weißblonde Locken und hellblaue Augen. Als Tante Sofie dieses kleine „Madle“ auf dem Wickeltisch sah, sagte sie und batschte dazu in die Hände. „Ach Gott, was is des Kinn sou schö un sou wohlgestalt“